Aber was ist
mit „mein“ Kampf? In Hitler selbst findet anscheinend gar kein Kampf statt, und
das macht das Buch in gewisser Weise enttäuschend. Der Autor stellt sich so
dar, als ob er von Anfang an – eigentlich schon während der Schulzeit, als er
sich für das Fach Geschichte interessiert, deutschnational empfindet und die
anderen Kinder dominiert – immer der gleiche gewesen wäre. Dieses Konzept
entspringt sicherlich dem Wunsch, beim Leser Vertrauen zu erzeugen. Gäbe Hitler
zu, daß er sich irgendwann in seinem Leben geirrt hat, käme der Leser
vielleicht auf den Gedanken, er könne sich auch jetzt mit seiner Politik irren.
Der Preis für diese propagandistische Absicht ist allerdings eine gewisse
Unglaubwürdigkeit. Hitler schildert zwar, wie sein Traum von der
Künstlerkarriere scheitert. Doch was dabei in ihm vorgegangen ist, spart er in
auffälliger Weise aus. Was denkt sich ein junger Mensch, der jahrelang
beschäftigungslos dahinvegetiert und keinerlei Versuch macht, das zu ändern?
Denkt er daran, sich umzubringen? Ist er wütend auf sich selbst und seine
unrealistischen Vorstellungen? Man kann immerhin erahnen, daß Hitler sich als
Versager fühlte und dagegen das Argument von der verdorbenen Kunstwelt ins Feld
führte. Doch um schlüssig zu sein, würde diese Argumentation voraussetzen, daß er
an seiner künstlerischen Begabung festhält und sie weiter verfolgt. Was nicht der
Fall ist. Er mußte also innerlich wissen, daß zwar die Kunst sich einer
schweren Krise befindet, aber die eigene persönliche Krise davon unabhängig besteht.
Von dieser persönlichen Krise ist in dem Buch fast nichts zu lesen. Zwar ist
die Rede von materieller Not und davon, daß diese Armut sich festigend auf den
Charakter ausgewirkt haben soll. Doch welcher Charakter? Hitler hatte bisher
nur in einer Traumwelt gelebt, die jetzt zerbricht. Das festigt nichts, sondern
führt in die Verzweiflung.
Was auf die
Leser von Biographien spannend wirkt, sind sogenannte Umbrüche. Der Held steht
an einem Abgrund und wird durch einen Zufall – manche sagen auch Fügung –
wunderbar errettet. Versierte Schreiber bemühen sich, solche dramatischen
Wendungen hervorzuheben oder sogar zu konstruieren. Aus propagandistischen
Gründen hat Hitler diese dramatische Wirkung beinahe verschenkt. Es kommt nicht
zum Ausdruck, wie erlösend der Kriegsausbruch auf ihn gewirkt haben muß. Und
wie stark sich die Kriegsteilnahme auf sein weiteres Leben auswirkte.
Es kommt auch
nicht zum Ausdruck, wie wenig ihn Politik während der Jugendjahre überhaupt
interessiert hatte. Früh wandte er sich der musischen Welt zu und fand sogleich
zu dem damaligen Abgott Richard Wagner. Bayreuth war um 1900 längst zu einer
quasi-religiösen Idee geworden, einem Kult, der nicht Musikalität erforderte,
sondern vielmehr Glaubensbereitschaft. Der Inhalt dieser „Religion“ aber blieb
völlig diffus. Wagner hat sich (trotz seines Antisemitismus) mitnichten vom
Christentum frei gemacht und auch nicht von einem konventionellen Idealismus,
der allenthalben vom Hohen, Reinen, Schönen, Erhabenen und Edlen schwärmt.
Schon Friedrich Nietzsche hat es abgestoßen, wie der „Meister“ diese Töne mit
einem rigorosen Egoismus und persönlicher Eitelkeit verband. Unkritisch hatte
sich Hitler – wie viele andere junge Leute – jahrelang berieseln lassen, ohne
über den Gehalt dieser Werke ernsthaft nachzudenken. Der – pubertäre – Rausch
einer unbestimmten Erwartung fand in seinen Künstlerplänen Ausdruck – ebenfalls
eine verbreitete Phase im Leben bürgerlicher Söhne. Wilhelm Meister, der „grüne
Heinrich“, wohin man sieht, wollen alle Künstler werden. Früher oder später besinnen
sie sich dann unter dem Druck der Verhältnisse auf einen anständigen
Broterwerb.
Auch für
Hitler wäre es denkbar gewesen, im letzten Augenblick noch in eine
kleinbürgerliche Existenz hineinzurutschen. Nehmen wir an, er hätte sich mit
dem „Postkartengeschäft“ irgendwie etabliert. Dann wäre in der Rückschau der
Künstlertraum zu einer bürgerlich-idealistischen Ideologie erstarrt, wie sie
vor 1914 verbreitet war: Danach gibt es die „höheren Werte“, die nur wenigen
Auserwählten vorbehalten sind, zu denen man leider (doch) nicht gehört. Die man
aber bewundert und beneidet, und die man sich an Sonn- und Feiertagen in der
Kirche oder zunehmend im Theater vorführen läßt. Zu diesem Spießbürgertum hatte
Hitler durchaus eine gewisse Anlage, wie sie später in seinem Film- und Operettenkonsum
zum Ausdruck kommt.
Illusionen |
Verzweiflung |
Doch es kommt
anders. Es geschieht etwas, das weder ein Zufall noch eine Fügung ist, aber für
Adolf Hitler wie für alle kleinen Leute mit der Plötzlichkeit eines
Naturereignisses eintritt: der Krieg bricht aus.
Rettung |
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