Mittwoch, 1. Februar 2012

Krieg 1

Gegner und Anhänger sind sich wohl einig, daß Hitlers Buch „MEIN KAMPF“ ein gewisser Mangel anhaftet. Worin besteht dieser Mangel? Genau in dem, was seine große Stärke hätte werden können und bis heute immerhin den Reiz ausmacht: die Verbindung von Biographie und politischer Programmatik. Die beiden Ebenen befinden sich nicht im Einklang. Die politische Theorie ist von einer großen Dramatik geprägt. Hitler beschreibt eine brutale und gefährliche Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien: den Juden, Marxisten und Plutokraten einerseits und andererseits den Deutschen, die sich an die Spitze alles Wertvollen stellen. Diese Feindschaft beginnt nicht erst mit der Nationalsozialistischen Partei, sondern besteht in verdeckter Form auch schon im Habsburger Reich und speziell in der Stadt Wien. Sie ist, darüber läßt der Autor keinen Zweifel, durch keinen Ausgleich zu beenden, sondern führt entweder zur Vernichtung des einen oder des anderen. Der Begriff „Kampf“ trifft den Inhalt des Buches insofern ganz genau.

Aber was ist mit „mein“ Kampf? In Hitler selbst findet anscheinend gar kein Kampf statt, und das macht das Buch in gewisser Weise enttäuschend. Der Autor stellt sich so dar, als ob er von Anfang an – eigentlich schon während der Schulzeit, als er sich für das Fach Geschichte interessiert, deutschnational empfindet und die anderen Kinder dominiert – immer der gleiche gewesen wäre. Dieses Konzept entspringt sicherlich dem Wunsch, beim Leser Vertrauen zu erzeugen. Gäbe Hitler zu, daß er sich irgendwann in seinem Leben geirrt hat, käme der Leser vielleicht auf den Gedanken, er könne sich auch jetzt mit seiner Politik irren. Der Preis für diese propagandistische Absicht ist allerdings eine gewisse Unglaubwürdigkeit. Hitler schildert zwar, wie sein Traum von der Künstlerkarriere scheitert. Doch was dabei in ihm vorgegangen ist, spart er in auffälliger Weise aus. Was denkt sich ein junger Mensch, der jahrelang beschäftigungslos dahinvegetiert und keinerlei Versuch macht, das zu ändern? Denkt er daran, sich umzubringen? Ist er wütend auf sich selbst und seine unrealistischen Vorstellungen? Man kann immerhin erahnen, daß Hitler sich als Versager fühlte und dagegen das Argument von der verdorbenen Kunstwelt ins Feld führte. Doch um schlüssig zu sein, würde diese Argumentation voraussetzen, daß er an seiner künstlerischen Begabung festhält und sie weiter verfolgt. Was nicht der Fall ist. Er mußte also innerlich wissen, daß zwar die Kunst sich einer schweren Krise befindet, aber die eigene persönliche Krise davon unabhängig besteht. Von dieser persönlichen Krise ist in dem Buch fast nichts zu lesen. Zwar ist die Rede von materieller Not und davon, daß diese Armut sich festigend auf den Charakter ausgewirkt haben soll. Doch welcher Charakter? Hitler hatte bisher nur in einer Traumwelt gelebt, die jetzt zerbricht. Das festigt nichts, sondern führt in die Verzweiflung.

Was auf die Leser von Biographien spannend wirkt, sind sogenannte Umbrüche. Der Held steht an einem Abgrund und wird durch einen Zufall – manche sagen auch Fügung – wunderbar errettet. Versierte Schreiber bemühen sich, solche dramatischen Wendungen hervorzuheben oder sogar zu konstruieren. Aus propagandistischen Gründen hat Hitler diese dramatische Wirkung beinahe verschenkt. Es kommt nicht zum Ausdruck, wie erlösend der Kriegsausbruch auf ihn gewirkt haben muß. Und wie stark sich die Kriegsteilnahme auf sein weiteres Leben auswirkte.

Es kommt auch nicht zum Ausdruck, wie wenig ihn Politik während der Jugendjahre überhaupt interessiert hatte. Früh wandte er sich der musischen Welt zu und fand sogleich zu dem damaligen Abgott Richard Wagner. Bayreuth war um 1900 längst zu einer quasi-religiösen Idee geworden, einem Kult, der nicht Musikalität erforderte, sondern vielmehr Glaubensbereitschaft. Der Inhalt dieser „Religion“ aber blieb völlig diffus. Wagner hat sich (trotz seines Antisemitismus) mitnichten vom Christentum frei gemacht und auch nicht von einem konventionellen Idealismus, der allenthalben vom Hohen, Reinen, Schönen, Erhabenen und Edlen schwärmt. Schon Friedrich Nietzsche hat es abgestoßen, wie der „Meister“ diese Töne mit einem rigorosen Egoismus und persönlicher Eitelkeit verband. Unkritisch hatte sich Hitler – wie viele andere junge Leute – jahrelang berieseln lassen, ohne über den Gehalt dieser Werke ernsthaft nachzudenken. Der – pubertäre – Rausch einer unbestimmten Erwartung fand in seinen Künstlerplänen Ausdruck – ebenfalls eine verbreitete Phase im Leben bürgerlicher Söhne. Wilhelm Meister, der „grüne Heinrich“, wohin man sieht, wollen alle Künstler werden. Früher oder später besinnen sie sich dann unter dem Druck der Verhältnisse auf einen anständigen Broterwerb.

Auch für Hitler wäre es denkbar gewesen, im letzten Augenblick noch in eine kleinbürgerliche Existenz hineinzurutschen. Nehmen wir an, er hätte sich mit dem „Postkartengeschäft“ irgendwie etabliert. Dann wäre in der Rückschau der Künstlertraum zu einer bürgerlich-idealistischen Ideologie erstarrt, wie sie vor 1914 verbreitet war: Danach gibt es die „höheren Werte“, die nur wenigen Auserwählten vorbehalten sind, zu denen man leider (doch) nicht gehört. Die man aber bewundert und beneidet, und die man sich an Sonn- und Feiertagen in der Kirche oder zunehmend im Theater vorführen läßt. Zu diesem Spießbürgertum hatte Hitler durchaus eine gewisse Anlage, wie sie später in seinem Film- und Operettenkonsum zum Ausdruck kommt.

Illusionen




Verzweiflung




Doch es kommt anders. Es geschieht etwas, das weder ein Zufall noch eine Fügung ist, aber für Adolf Hitler wie für alle kleinen Leute mit der Plötzlichkeit eines Naturereignisses eintritt: der Krieg bricht aus.

Rettung

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