Freitag, 3. Februar 2012

Krieg 6

NAZI-REDEN

Wie unterscheidet sich die nationalsozialistische Massenveranstaltung von der kommunistischen? Auch in diesem Punkt hat „Mein Kampf“ keine richtige Auskunft gegeben. Es klingt so, als handle es sich bei der ns Propaganda weitgehend um einen Abklatsch von der kommunistischen. Fahnen und Plakate sind rot wie bei den Kommunisten. Große Versammlungssäle werden angemietet, wie sie bis dahin nur die Kommunisten füllen konnten. Proletarisches und halbproletarisches Publikum strömt herein, wie es sich auf nationalen Veranstaltungen bisher nicht sehen ließ. Man marschiert durch rote Stadtteile, dichtet rote Kampflieder um und kopiert den „Rotfrontkämpferbund“ durch die SA. Auf diese Übereinstimmungen ist Hitler geradezu stolz. Das scheint Ernst Nolte zu bestätigen, der den NS in erster Linie als Reaktion auf die Bedrohung des Bolschewismus auffaßt. In seinem letzten Buch „Späte Reflexionen“ (2011) hat der greise Historiker seine eigene These jedoch in Frage gestellt:
Wenn Hitler nur ein militanter Antikommunist gewesen wäre, hätte er dann überhaupt eine große Massenbewegung hinter sich bringen können?
Was hätte sein können, kann man nicht wissen. Wer aber die Berichte über die frühen NS-Massenveranstaltungen kennt, sieht klar, daß Hitler nicht nur ein militanter Antikommunist gewesen ist, und daß seine Propaganda nicht bloß ein umgekehrtes Spiegelbild der kommunistischen Propaganda ist. Trotz ähnlicher Räume und Requisiten wirkt eine NS-Veranstaltung von Grund auf anders als eine kommunistische Veranstaltung. Über diese zentrale Unterscheidung findet sich in „Mein Kampf“ kein Wort. Hitler läßt lieber den Eindruck entstehen, er sei ein bloßer Nachahmer oder neidischer Konkurrent, als eine geheime Wahrheit auszusprechen.

Die Bilder ...



Denn während die Kommunisten ihren Zuhörern dauernd Versprechungen auf ein besseres Leben, auf Frieden, Sicherheit, Wohlstand und mehr Menschlichkeit machen, versprechen die ns. Reden und schon die Stimmung im Saal, die Musik, die Uniformen und der aggressive Tonfall letztlich nichts anders als Kampf und Krieg und Opfer und Tod. Und während die Kommunisten ihr Publikum zum politischen Kampf auffordern, um die eigenen Rechte und das eigene Glück zu realisieren, besteht bei den Nationalsozialisten das Glück bereits im Kampf selbst. Ein höheres liegt eigentlich nur im Tod. Die Begeisterung der Kommunisten besteht in der Hoffnung, die Begeisterung der Nationalsozialisten besteht in der Selbstaufgabe. Weshalb man den Geist des NS denn auch als „Ungeist“ bezeichnet. Es handelt sich in der Tat um eine genaue Umkehrung der bisherigen Sichtweise.
... gleichen sich


HEIL WIRD UNHEIL, UNHEIL HEIL

Man spricht von den „abrahamitischen“ Religionen (Judentum, Christentum, Islam) als einem Block. Es stimmt, daß alle drei von einer messianischen Hoffnung bestimmt sind, von der Hoffnung auf die Erlösung des Menschen von aller irdischen Qual. Auch die buddhistische Religion – obwohl nicht abrahamitisch – beinhaltet diese Hoffnung in Form einer Auflösung im Nirwana. Der Ägyptologe Jan Assmann hat diese Art Religion als „Heilsreligion“ bezeichnet. Sie ist gerichtet auf einen idealen Zustand, der ursprünglich dagewesen sein soll und irgendwann wiederkommt. Im Gegensatz dazu stehen die heidnischen Religionen, auch die hochentwickelte ägyptische Religion, welche nicht auf ein „besseres Leben“ orientiert sind. Sie verklären das Diesseits durch die Verehrung der Natur und ebenso ihrer Herrscher. Assmann nennt sie die „Herrschaftsreligionen“. Der Gegensatz zeigt sich beim Aufenthalt der Israeliten in Ägypten. Mit ihrer „Heilsreligion“ sind die Juden einerseits leicht zu besiegen, da sie sich nicht aufs Hier und Jetzt konzentrieren, andererseits sind sie überlegen, weil sie die Zukunft für sich zu haben glauben.

Das Göttliche ist das Wirkliche
Das Göttliche ist der Geist


Der Charakter der „Heilsreligion“ ist auch im Marxismus enthalten. Das Konzept wird hier zu seiner Höchstform geführt, weil die Herbeiführung des Idealzustand scheinbar wissenschaftlich erklärt und exakt vorausberechenbar ist. Nicht die personelle Stärke der Juden innerhalb der bolschewistischen Partei läßt den Eindruck entstehen, daß die Juden hinter dem Kommunismus steckten („jüdischer Bolschewismus“), sondern mehr noch die geistesgeschichtliche Parallele zur jüdischen Religion, die zumindest diffus verspürt wird. Verspürt wird auch die Feindschaft des NS zu jeder Heilslehre. Der Kommunismus vertritt die Jenseitsreligion, denn sein Reich soll erst kommen. Der NS vertritt die Diesseitsreligion (ursprünglich Naturreligion), indem er das sakralisiert, was ist.

Diesen entscheidenden Richtungswechsel vermitteln die NS-Massenveranstaltungen auf unterschwellige Weise. Während der Redner zunächst wie die Kommunisten Arbeitsplätze und Wohlstand sowie Frieden und Gerechtigkeit verspricht, wird die neue „unfrohe“ Botschaft durch einen Subtext auf die Zuschauer übertragen, und dieser Subtext macht schließlich die Stärke der Nazis gegenüber den Kommunisten aus. Diese predigen, was die Menschen seit zweitausend Jahren zu hören bekommen, ohne daß die Versprechungen je eingelöst wurden. Die Nazis versprechen nichts und fordern alles. Gerade das reißt zu Beifallsstürmen hin, wie sie in der Geschichte wahrscheinlich noch nie gehört wurden.
Kampfzeit, Zirkus Krone

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