Wie unterscheidet sich die
nationalsozialistische Massenveranstaltung von der kommunistischen? Auch in
diesem Punkt hat „Mein Kampf“ keine richtige Auskunft gegeben. Es klingt so,
als handle es sich bei der ns Propaganda weitgehend um einen Abklatsch von der
kommunistischen. Fahnen und Plakate sind rot wie bei den Kommunisten. Große
Versammlungssäle werden angemietet, wie sie bis dahin nur die Kommunisten
füllen konnten. Proletarisches und halbproletarisches Publikum strömt herein, wie
es sich auf nationalen Veranstaltungen bisher nicht sehen ließ. Man marschiert
durch rote Stadtteile, dichtet rote Kampflieder um und kopiert den
„Rotfrontkämpferbund“ durch die SA. Auf diese Übereinstimmungen ist Hitler
geradezu stolz. Das scheint Ernst Nolte zu bestätigen, der den NS in erster
Linie als Reaktion auf die Bedrohung des Bolschewismus auffaßt. In seinem
letzten Buch „Späte Reflexionen“ (2011) hat der greise Historiker seine eigene
These jedoch in Frage gestellt:
„Wenn
Hitler nur ein militanter
Antikommunist gewesen wäre, hätte er dann überhaupt eine große Massenbewegung
hinter sich bringen können?“
Was hätte sein können, kann man nicht
wissen. Wer aber die Berichte über die frühen NS-Massenveranstaltungen kennt,
sieht klar, daß Hitler nicht nur ein militanter Antikommunist gewesen ist, und
daß seine Propaganda nicht bloß ein umgekehrtes Spiegelbild der kommunistischen
Propaganda ist. Trotz ähnlicher Räume und Requisiten wirkt eine
NS-Veranstaltung von Grund auf anders als eine kommunistische Veranstaltung. Über
diese zentrale Unterscheidung findet sich in „Mein Kampf“ kein Wort. Hitler
läßt lieber den Eindruck entstehen, er sei ein bloßer Nachahmer oder neidischer
Konkurrent, als eine geheime Wahrheit auszusprechen.
Die Bilder ... |
Denn während die Kommunisten ihren
Zuhörern dauernd Versprechungen auf ein besseres Leben, auf Frieden,
Sicherheit, Wohlstand und mehr Menschlichkeit machen, versprechen die ns. Reden
und schon die Stimmung im Saal, die Musik, die Uniformen und der aggressive
Tonfall letztlich nichts anders als Kampf und Krieg und Opfer und Tod. Und
während die Kommunisten ihr Publikum zum politischen Kampf auffordern, um die
eigenen Rechte und das eigene Glück zu realisieren, besteht bei den Nationalsozialisten
das Glück bereits im Kampf selbst. Ein höheres liegt eigentlich nur im Tod. Die
Begeisterung der Kommunisten besteht in der Hoffnung, die Begeisterung der
Nationalsozialisten besteht in der Selbstaufgabe. Weshalb man den Geist des NS
denn auch als „Ungeist“ bezeichnet. Es handelt sich in der Tat um eine genaue
Umkehrung der bisherigen Sichtweise.
... gleichen sich |
HEIL WIRD UNHEIL, UNHEIL HEIL
Man spricht von den „abrahamitischen“
Religionen (Judentum, Christentum, Islam) als einem Block. Es stimmt, daß alle
drei von einer messianischen Hoffnung bestimmt sind, von der Hoffnung auf die
Erlösung des Menschen von aller irdischen Qual. Auch die buddhistische Religion
– obwohl nicht abrahamitisch – beinhaltet diese Hoffnung in Form einer
Auflösung im Nirwana. Der Ägyptologe Jan Assmann hat diese Art Religion als
„Heilsreligion“ bezeichnet. Sie ist gerichtet auf einen idealen Zustand, der
ursprünglich dagewesen sein soll und irgendwann wiederkommt. Im Gegensatz dazu stehen
die heidnischen Religionen, auch die hochentwickelte ägyptische Religion,
welche nicht auf ein „besseres Leben“ orientiert sind. Sie verklären das
Diesseits durch die Verehrung der Natur und ebenso ihrer Herrscher. Assmann
nennt sie die „Herrschaftsreligionen“. Der Gegensatz zeigt sich beim Aufenthalt
der Israeliten in Ägypten. Mit ihrer „Heilsreligion“ sind die Juden einerseits
leicht zu besiegen, da sie sich nicht aufs Hier und Jetzt konzentrieren,
andererseits sind sie überlegen, weil sie die Zukunft für sich zu haben
glauben.
Das Göttliche ist das Wirkliche |
Das Göttliche ist der Geist |
Der Charakter der „Heilsreligion“ ist
auch im Marxismus enthalten. Das Konzept wird hier zu seiner Höchstform
geführt, weil die Herbeiführung des Idealzustand scheinbar wissenschaftlich
erklärt und exakt vorausberechenbar ist. Nicht die personelle Stärke der Juden
innerhalb der bolschewistischen Partei läßt den Eindruck entstehen, daß die
Juden hinter dem Kommunismus steckten („jüdischer Bolschewismus“), sondern mehr
noch die geistesgeschichtliche Parallele zur jüdischen Religion, die zumindest
diffus verspürt wird. Verspürt wird auch die Feindschaft des NS zu jeder
Heilslehre. Der Kommunismus vertritt die Jenseitsreligion, denn sein Reich soll
erst kommen. Der NS vertritt die Diesseitsreligion (ursprünglich
Naturreligion), indem er das sakralisiert, was ist.
Diesen entscheidenden
Richtungswechsel vermitteln die NS-Massenveranstaltungen auf unterschwellige
Weise. Während der Redner zunächst wie die Kommunisten Arbeitsplätze und
Wohlstand sowie Frieden und Gerechtigkeit verspricht, wird die neue „unfrohe“
Botschaft durch einen Subtext auf die Zuschauer übertragen, und dieser Subtext
macht schließlich die Stärke der Nazis gegenüber den Kommunisten aus. Diese
predigen, was die Menschen seit zweitausend Jahren zu hören bekommen, ohne daß
die Versprechungen je eingelöst wurden. Die Nazis versprechen nichts und
fordern alles. Gerade das reißt zu Beifallsstürmen hin, wie sie in der
Geschichte wahrscheinlich noch nie gehört wurden.
Kampfzeit, Zirkus Krone |
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