Mittwoch, 22. Februar 2012

Brief über Breker

Werner X. hat einen Brief an Jürgen Trimborn geschrieben. Mich und andere läßt der Verfasser am Inhalt des Briefes teilhaben. Es geht um die Biographie über Arno Breker, die Trimborn im letzten Jahr veröffentlicht hat. X. ärgert sich über das Buch und weist dem Autor in einem sechsseitigen Schreiben der Reihe nach Sachfehler und unangemessene Bewertungen nach. Diese Kritik dürfte Jürgen Trimborn aber nichts Neues sein, denn schon die Rezension am 29. November letzten Jahres in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ war negativ ausgefallen. Was die FAZ auszusetzen hatte, entspricht im wesentlichen den Einwänden, die auch X. vorbringt. Im Zentrum steht der Vorwurf, daß eine einseitig politisch-moralische Verurteilung kein Kunstverständnis ersetzt. Sieht man sich an, was Trimborn bisher so getrieben hat, wundert man sich nicht mehr über seine mangelnde ästhetische Sensibilität. Biographien über Romy Schneider und Johannes Heesters mögen unterhaltsam und gut verkäuflich sein, für eine Beurteilung der Kunst des 20. Jahrhunderts bereiten sie nicht optimal vor.

Interessanter als die Kritik von Trimborn ist jedoch die Frage, wie wir selber zu den Kunstwerken von Breker stehen. Auch dazu hat sich X. in seinem Brief geäußert:
Auch ich bin beileibe nicht mit allem einverstanden, was Breker im Laufe seines Lebens geschaffen hat“, schreibt er. „Insbesondere die ganz monumentalen überdimensionierten Werke sagen mir nicht zu, wie auch Zahlreiches, was er nach dem Krieg machte. Vieles davon ist mir viel zu geglättet, zu manieriert, zu seelenlos, zu perfekt.“

Trotz dieser Einwände steht am Schluß des Schreibens eine geradezu euphorische Würdigung:
Die Sonne Apollos durchglühte Brekers Leben und seine Hand berührte mit den zarten Blütenblättern einer Rose die Marmorlippen der römischen Göttin. Brekers Leben waren die Schönheit und die Kunst, ungebrochen in Glück und Unglück.“

Diese Aussage steht in direktem Gegensatz zu der vorangehenden Bemerkung:
Das ganze Gerede nach 1945 vom humanistischen Menschenbild oder der christlichen Inspiration, vom Prophet des Schönen und dem Vollender der Antike geht mir selbst vielleicht noch mehr auf die Nerven als Ihnen.“ Dazu bringt X. eine interessante Erläuterung: „Ich habe selbst einige Zeit gebraucht, um diese Tatsache anzuerkennen und einen früher eingenommenen Standpunkt zu revidieren.

Der Widerspruch zeigt jedoch, daß der Standpunkt des Verfassers zu seinem eigentlichen Thema – Breker und die nationalsozialistische Kunst – noch immer nicht ganz ausgereift ist. Oft täuscht man sich über die eigene Unsicherheit hinweg, indem man antifaschistische Fehlurteile spielend widerlegt. Doch die echten Fragen fangen erst danach an.
Die Frage ist, ob tatsächlich die „politische Verstrickung“ bei Breker eines Tages keine Rolle mehr spielen wird und der Künstler Aufnahme in den Olymp der ewigen Meister wie Perikles oder Michelangelo findet oder zumindest den anerkannten Plastiken des 19. Jahrhunderts gleichgestellt wird. Das „Gerede“ vom Prophet des Schönen und Vollender der Antike würde sich dann als Wahrheit erweisen. Die Anklage, einen spezifisch „nationalsozialistischen Stil“ geschaffen zu haben, der untrennbar mit der nationalsozialistischen Lehre und Praxis verbunden ist, müßte fallengelassen werden. Darf man das tatsächlich hoffen? Und kann man es überhaupt wünschen?
X. kritisiert ganz bestimmte Merkmale an Brekers Arbeiten: das „Monumentale“, das „Seelenlose“ und das „Perfekte“. Nun sind das gerade die Kennzeichen, die Breker von einer bloß gelungen Kopie der antiken Werke unterscheiden. Gerade durch diese Verzerrungen bekommen die Werke ihre Einmaligkeit und Besonderheit. Gleichzeitig widersprechen sie dem tradierten klassischen Schönheitsempfinden, das auf Maß und Menschlichkeit aus ist. Das gilt gerade auch für die griechischen Plastiken. Sie sind schön, aber auch „edel“. Die Breker-Plastiken ähneln zwar den antiken, sind aber in charakteristischer Weise verformt. Das führt zu einem völlig anderen Eindruck. Und diesen Eindruck empfinden wir spontan als störend oder provozierend. Mit seiner Monumentalität, Seelenlosigkeit und Perfektion durchbricht Breker die herkömmlichen ästhetischen Kategorien. Dadurch werden seine Werke in spezifischer Weise „modern“. Ihre verstörenden Merkmale spiegeln die eigene Zeit wider – nur auf andere Art als die moderne Kunst, die von den Nationalsozialisten als entartet betrachtet wurde. Es ist klar, daß das Monumentale, Perfekte und Seelenlose mit der Technisierung im 20. Jahrhundert zusammenhängt. Dadurch sieht man den Menschen anders. Man sieht ihn auch körperlich geprägt von den technischen Möglichkeiten, die sich ihm für die Zukunft eröffnen. Diese Möglichkeiten gehen über das hinaus, was bisher dem Menschen zugeschrieben wurde. Konkret kann man bei Breker an eine kommende genetische Manipulation in Richtung „Übermensch“ denken. Ob einen das nun anheimelt oder eher abschreckt, jedenfalls erweist sich der Künstler mit diesem Motiv als äußerst zeitgemäß.
Man kann die NS-Kunst nur richtig würdigen, wenn man sie als eine spezielle Variante der „modernen Kunst“ versteht. Zwar setzt sie sich in bewußten Gegensatz dazu, aber gleichzeitig ist sie auch selbst Teil davon. Es stimmt nicht, daß hier nur die tradierten Formen gewahrt und alte Motive wiederholt werden. Vielmehr dienen diese Mittel dazu, um auf die Situation des 20. Jahrhunderts zu reagieren – allerdings kämpferisch. Das gilt nicht nur von Breker, sondern zum Beispiel auch von den opulenten Blut-und-Boden-Gemälden. Wenn man diese Bilder ansieht, merkt man sofort, daß hier nicht eine ursprüngliche ländliche Lebensweise realistisch dargestellt wird. Die Bilder wirken nicht als Erholung fürs Auge, sondern als Schlag ins Gesicht. Diese Bauern und Ackerpferde sind Fanale gegen die Enfremdung: darin ähnlich wie die Werke des „Sozialistischen Realismus“. Gerade in dem, was uns an diesen Bildern unangenehm oder peinlich berührt, liegt ihre spezifische Qualität und nicht etwa in den handwerklichen Fertigkeiten, die die Künstler mehr oder weniger auszeichnet.
Damit ist diese Kunst genauso untrennbar an die nationalsozialistische Ideologie gebunden, wie die mittelalterliche Kunst an den katholischen Glauben gebunden ist. Wenn man meint, das trennen zu können und „rein ästhetisch“ von einer Madonna schwärmt, so handelt es sich um ein gelehrtes Mißverständnis. Der eigentliche Gehalt des Kunstwerkes ist immer seine Botschaft, und diese Botschaft ist nicht ewig, sondern historisch bedingt. Man wird Breker immer dafür bewundern, wie er den nationalsozialistischen Gedanken zum Ausdruck brachte, und wenn man von diesem Gedanken nichts mehr weiß, so wird man durch die Berührung mit den Werken auf die historischen Hintergründe neugierig werden. Mit griechischen Göttern werden Brekers Figuren niemals zu vergleichen sein. Und gerade diese Unvergleichbarkeit macht seine Größe aus.

Kasseler Apollon 100 n. Chr.







Arno Breker, Erwartung

Es ist nicht das Privileg von Picasso, wenn zum Verständnis seiner Werke bestimmte Kenntnisse gehören. Es nicht das Privileg der „entarteten Kunst“, die moderne Zeit zu repräsentieren. Und schließlich ist es nicht das Privileg von Skandalkünstlern, das Publikum zu provozieren. Das kann die NS-Kunst genauso gut.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen