Interessanter als die Kritik von
Trimborn ist jedoch die Frage, wie wir selber zu den Kunstwerken von Breker
stehen. Auch dazu hat sich X. in seinem Brief geäußert:
„Auch ich bin beileibe nicht mit allem einverstanden, was Breker im
Laufe seines Lebens geschaffen hat“, schreibt er. „Insbesondere die ganz
monumentalen überdimensionierten Werke sagen mir nicht zu, wie auch
Zahlreiches, was er nach dem Krieg machte. Vieles davon ist mir viel zu
geglättet, zu manieriert, zu seelenlos, zu perfekt.“
Trotz dieser Einwände steht am
Schluß des Schreibens eine geradezu euphorische Würdigung:
„Die Sonne Apollos durchglühte Brekers Leben und seine Hand berührte mit
den zarten Blütenblättern einer Rose die Marmorlippen der römischen Göttin.
Brekers Leben waren die Schönheit und die Kunst, ungebrochen in Glück und
Unglück.“
Diese Aussage steht in direktem
Gegensatz zu der vorangehenden Bemerkung:
„Das ganze Gerede nach 1945 vom humanistischen Menschenbild oder der
christlichen Inspiration, vom Prophet des Schönen und dem Vollender der Antike
geht mir selbst vielleicht noch mehr auf die Nerven als Ihnen.“ Dazu bringt
X. eine interessante Erläuterung: „Ich
habe selbst einige Zeit gebraucht, um diese Tatsache anzuerkennen und einen
früher eingenommenen Standpunkt zu revidieren.“
Der Widerspruch zeigt jedoch, daß der
Standpunkt des Verfassers zu seinem eigentlichen Thema – Breker und die nationalsozialistische
Kunst – noch immer nicht ganz ausgereift ist. Oft täuscht man sich über die
eigene Unsicherheit hinweg, indem man antifaschistische Fehlurteile spielend
widerlegt. Doch die echten Fragen fangen erst danach an.
Die Frage ist, ob tatsächlich die
„politische Verstrickung“ bei Breker eines Tages keine Rolle mehr spielen wird
und der Künstler Aufnahme in den Olymp der ewigen Meister wie Perikles oder
Michelangelo findet oder zumindest den anerkannten Plastiken des 19.
Jahrhunderts gleichgestellt wird. Das „Gerede“ vom Prophet des Schönen und Vollender
der Antike würde sich dann als Wahrheit erweisen. Die Anklage, einen spezifisch
„nationalsozialistischen Stil“ geschaffen zu haben, der untrennbar mit der
nationalsozialistischen Lehre und Praxis verbunden ist, müßte fallengelassen
werden. Darf man das tatsächlich hoffen? Und kann man es überhaupt wünschen?
X. kritisiert ganz bestimmte
Merkmale an Brekers Arbeiten: das „Monumentale“, das „Seelenlose“ und das
„Perfekte“. Nun sind das gerade die Kennzeichen, die Breker von einer bloß
gelungen Kopie der antiken Werke unterscheiden. Gerade durch diese Verzerrungen
bekommen die Werke ihre Einmaligkeit und Besonderheit. Gleichzeitig
widersprechen sie dem tradierten klassischen Schönheitsempfinden, das auf Maß
und Menschlichkeit aus ist. Das gilt gerade auch für die griechischen
Plastiken. Sie sind schön, aber auch „edel“. Die Breker-Plastiken ähneln zwar
den antiken, sind aber in charakteristischer Weise verformt. Das führt zu einem
völlig anderen Eindruck. Und diesen Eindruck empfinden wir spontan als störend
oder provozierend. Mit seiner Monumentalität, Seelenlosigkeit und Perfektion
durchbricht Breker die herkömmlichen ästhetischen Kategorien. Dadurch werden
seine Werke in spezifischer Weise „modern“. Ihre verstörenden Merkmale spiegeln
die eigene Zeit wider – nur auf andere Art als die moderne Kunst, die von den
Nationalsozialisten als entartet betrachtet wurde. Es ist klar, daß das
Monumentale, Perfekte und Seelenlose mit der Technisierung im 20. Jahrhundert
zusammenhängt. Dadurch sieht man den Menschen anders. Man sieht ihn auch
körperlich geprägt von den technischen Möglichkeiten, die sich ihm für die
Zukunft eröffnen. Diese Möglichkeiten gehen über das hinaus, was bisher dem
Menschen zugeschrieben wurde. Konkret kann man bei Breker an eine kommende
genetische Manipulation in Richtung „Übermensch“ denken. Ob einen das nun
anheimelt oder eher abschreckt, jedenfalls erweist sich der Künstler mit diesem
Motiv als äußerst zeitgemäß.
Man kann die NS-Kunst nur richtig
würdigen, wenn man sie als eine spezielle Variante der „modernen Kunst“
versteht. Zwar setzt sie sich in bewußten Gegensatz dazu, aber gleichzeitig ist
sie auch selbst Teil davon. Es stimmt nicht, daß hier nur die tradierten Formen
gewahrt und alte Motive wiederholt werden. Vielmehr dienen diese Mittel dazu,
um auf die Situation des 20. Jahrhunderts zu reagieren – allerdings kämpferisch.
Das gilt nicht nur von Breker, sondern zum Beispiel auch von den opulenten Blut-und-Boden-Gemälden.
Wenn man diese Bilder ansieht, merkt man sofort, daß hier nicht eine
ursprüngliche ländliche Lebensweise realistisch dargestellt wird. Die Bilder
wirken nicht als Erholung fürs Auge, sondern als Schlag ins Gesicht. Diese
Bauern und Ackerpferde sind Fanale gegen die Enfremdung: darin ähnlich wie die
Werke des „Sozialistischen Realismus“. Gerade in dem, was uns an diesen Bildern
unangenehm oder peinlich berührt, liegt ihre spezifische Qualität und
nicht etwa in den handwerklichen Fertigkeiten, die die Künstler mehr oder
weniger auszeichnet.
Damit ist diese Kunst genauso
untrennbar an die nationalsozialistische Ideologie gebunden, wie die
mittelalterliche Kunst an den katholischen Glauben gebunden ist. Wenn man meint,
das trennen zu können und „rein ästhetisch“ von einer Madonna schwärmt, so
handelt es sich um ein gelehrtes Mißverständnis. Der eigentliche Gehalt des
Kunstwerkes ist immer seine Botschaft, und diese Botschaft ist nicht ewig, sondern
historisch bedingt. Man wird Breker immer dafür bewundern, wie er den
nationalsozialistischen Gedanken zum Ausdruck brachte, und wenn man von diesem
Gedanken nichts mehr weiß, so wird man durch die Berührung mit den Werken auf
die historischen Hintergründe neugierig werden. Mit griechischen Göttern werden
Brekers Figuren niemals zu vergleichen sein. Und gerade diese
Unvergleichbarkeit macht seine Größe aus.
Kasseler Apollon 100 n. Chr. |
Arno Breker, Erwartung |
Es ist nicht das Privileg von
Picasso, wenn zum Verständnis seiner Werke bestimmte Kenntnisse gehören. Es
nicht das Privileg der „entarteten Kunst“, die moderne Zeit zu repräsentieren.
Und schließlich ist es nicht das Privileg von Skandalkünstlern, das Publikum zu
provozieren. Das kann die NS-Kunst genauso gut.
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