Richtig interessant wird die Sache dadurch, daß Michel sich
nach dem Krieg zum besonderen Verfechter des jüdischen Erbes innerhalb des
Christentums gemacht hat. Und dabei handelte es sich nicht nur um billige
Sympathieerklärungen, sondern echte Forschungsergebnisse hat der Professor auf
diesem Gebiet zutage gefördert. Die „Rückkehr zum hebräischen Denken“ nannte er
das, wohlgemerkt immer innerhalb des Protestantismus. „Er verfügte ein
unwahrscheinliches Gespür für die alten Texte Judentums“, bezeugt ein Kollege.
Und nun kommt das Unwahrscheinlichste: wie nämlich der
Schatten den frommen Mann einholte. Wenige Monate vor seinem Tode hatte er sich
in Sichtweite des Bettes eine hölzerne Standscheibe von einer Thora-Rolle (der
hölzerne Griff) aufgestellt. Später kam sie ins Tübinger Stadtmuseum – bis ein
findiger Antifaschist herausfand, daß man das Stück einst einem polnischen
Juden entwendet und höchstwahrscheinlich dem Nazi-Forscher Michel zur Verfügung
gestellt hatte.
Übrigens war die nationalsozialistische „Judenforschung“ in
Tübingen besonders aktiv. Und sie bestand nicht nur in der Ausmessung von
Nasenlängen, sondern durchaus auch im Studium der Originaltexte. So konnte sich
der junge Wissenschaftler mit Parteibuch auf seine spätere Karriere als
Philosemit und Versöhnungstheologe gut vorbereiten.
Es gibt offenbar Menschen, die sind so an ihrem „Stoff“
interessiert, daß es ihnen zweitrangig vorkommt, von welcher Richtung her der
Zugriff auf diesen Stoff erfolgt. Das sind die richtig-echten Wissenschaftsmenschen.
Und wo er recht hat, hat er recht: Im Christentum ist viel Judentum und im
Protestantismus besonders. Das „jüdische Erbe von Jesus“ ist ein lohnendes
Thema. Ob Judenfreund oder Judenfeind spielt da gar keine so große Rolle.
Rechtmäßiger Erbe der Thorascheibe ist der Psychologe Avner
Falk. Der schreibt jetzt ein Buch über den Fall.
So sieht die "Thorascheibe" aus |
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