Freitag, 17. Februar 2012

Nachricht 4

Zwanzig Jahre nach seinem Tod ist ein weiterer „Wissenschaftsnazi“ enttarnt worden. Es handelt sich um den Professor der evangelischen Theologie Otto Michel. Seit 1933 war er Mitglied der NSDAP und anfangs auch in der SA.

Richtig interessant wird die Sache dadurch, daß Michel sich nach dem Krieg zum besonderen Verfechter des jüdischen Erbes innerhalb des Christentums gemacht hat. Und dabei handelte es sich nicht nur um billige Sympathieerklärungen, sondern echte Forschungsergebnisse hat der Professor auf diesem Gebiet zutage gefördert. Die „Rückkehr zum hebräischen Denken“ nannte er das, wohlgemerkt immer innerhalb des Protestantismus. „Er verfügte ein unwahrscheinliches Gespür für die alten Texte Judentums“, bezeugt ein Kollege.
Und nun kommt das Unwahrscheinlichste: wie nämlich der Schatten den frommen Mann einholte. Wenige Monate vor seinem Tode hatte er sich in Sichtweite des Bettes eine hölzerne Standscheibe von einer Thora-Rolle (der hölzerne Griff) aufgestellt. Später kam sie ins Tübinger Stadtmuseum – bis ein findiger Antifaschist herausfand, daß man das Stück einst einem polnischen Juden entwendet und höchstwahrscheinlich dem Nazi-Forscher Michel zur Verfügung gestellt hatte.

Übrigens war die nationalsozialistische „Judenforschung“ in Tübingen besonders aktiv. Und sie bestand nicht nur in der Ausmessung von Nasenlängen, sondern durchaus auch im Studium der Originaltexte. So konnte sich der junge Wissenschaftler mit Parteibuch auf seine spätere Karriere als Philosemit und Versöhnungstheologe gut vorbereiten.
Es gibt offenbar Menschen, die sind so an ihrem „Stoff“ interessiert, daß es ihnen zweitrangig vorkommt, von welcher Richtung her der Zugriff auf diesen Stoff erfolgt. Das sind die richtig-echten Wissenschaftsmenschen. Und wo er recht hat, hat er recht: Im Christentum ist viel Judentum und im Protestantismus besonders. Das „jüdische Erbe von Jesus“ ist ein lohnendes Thema. Ob Judenfreund oder Judenfeind spielt da gar keine so große Rolle.

Rechtmäßiger Erbe der Thorascheibe ist der Psychologe Avner Falk. Der schreibt jetzt ein Buch über den Fall.
So sieht die "Thorascheibe" aus

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