JÜNGER
Voraussetzung
für die übergeordnete = epochale Bedeutung des Kriegserlebnisses ist die Unabhängigkeit
von politischen Motiven im engeren Sinne. Die existentielle Erfahrung soll ja
eine politische Auffassung erst begründen, also muß sie fundamentaler
(wesentlicher, „eigentlicher“) sein als Politik und Militär. Worum ging es im
1. Weltkrieg? Es ging noch einmal (zum letzten Mal) um die Durchsetzung
nationaler Interessen. Worin bestanden diese Interessen? In einer höheren
Beschleunigung des industriellen Fortschritts gegenüber dem Tempo anderer
Nationen. Darum ging es aber den „Stahlgewittern“ nicht. Das zeigt auch ein
anderes Buch von Ernst Jünger, „Afrikanische Spiele“, worin er seine Erlebnisse
in der Fremdenlegion beschreibt. Dem Gymnasiasten, der heimlich das Elternhaus
verläßt und nach Marseille fährt, um sich bei der Legion zu melden, geht es um
den Krieg als solches, um den Kampf und um die Grenzsituation. Vor dem Tod hat
er weniger Angst als vor dem, was ihm zu Hause droht.
Wovon die
Vorkriegsgenerationen (von 1871 bis 1914) insgesamt bedroht sind, bezeichnet Friedrich
Nietzsche mit dem Wort „Nihilismus“. Seitdem hat dieser Zustand auch
verschiedene andere Benennungen bekommen. So spricht Peter Sloterdjik vom
„Weltinnenraum“, in den sich die Erde dank der Globalisierung verwandelt habe.
Obwohl der Terminus nicht negativ gemeint ist, handelt es sich um das gleiche
Phänomen. Es erscheint so, als ob alles bereits erforscht, alles entdeckt,
alles bekannt und beherrschbar sei und nichts mehr den Menschen wirklich
herausfordern könne. Überall begegnet man nur dem, wovon man selbst bestimmt
ist, dem menschlichen Maß. Es gibt nichts „Großes“ mehr, nichts „Fremdes“,
nichts „Anderes“. Das Gegenüber des Menschen fehlt. Ursache dieser nihilistischen
Stimmung ist die scheinbar vollkommene Beherrschung der Natur und der Erde
durch die Technik. Die Technik selbst wird ausschließlich als Instrument des
Menschen gesehen, als sein verlängerter Arm. Der Ausdruck „Gott ist tot“
bezeichnet weniger den Verlust des naiven Glaubens (der liegt historisch
bereits zurück), sondern die Eingeschlossenheit des Menschen mit sich selbst,
das „Fliegenglas“, wie Wittgenstein es nennen sollte.
„Freie Luft“
sucht Jünger bei der Legion und im Weltkrieg. Schon vorher hatte die
bürgerliche Jugend sie auf Fahrten in die Wälder gesucht. Diese
„Jugendbewegung“ richtete sich vor allem gegen die sogenannten höheren Ideale,
die längst zu Heuchelei verkommen waren. Auch das gesamte europäische
Bildungsgut wurde fragwürdig. War es nicht letztlich nur eine Ummäntelung des
Profits und des Komforts? Der Reiz des Krieges besteht nicht in glorreichen
Taten. Meist findet sich dazu gar keine Gelegenheit:
„Nach kurzem Aufenthalt beim Regiment hatten
wir gründlich die Illusionen verloren, mit denen wir ausgezogen waren. Statt
der erhofften Gefahren hatten wir Schmutz, Arbeit und schlaflose Nächte
vorgefunden, deren Bezwingung ein uns wenig liegendes Heldentum erforderte.
Schlimmer noch war die Langeweile, die für den Soldaten entnervender als die
Nähe der Todes ist.“ (In Stahlgewittern)
Doch auch die
Langeweile in ihrer äußersten Form führt von der leeren Geschäftigkeit weg, in
der der Nihilismus wirkt. Angst und Langeweile führen, wie Heidegger ausführen
sollte, zum „Eigentlichen“.
SCHMITT
Die Untersuchung
über den „Begriff des Politischen“ stellt den „Feind“ als Herausforderung dar,
die den modernen Menschen aus seiner falschen Sekurität herausholt. Das
Politische nach Schmitt hat mit Politik im traditionellen Sinne genauso wenig
zu tun wie die „Stahlgewitter“ mit dem Krieg als „Fortsetzung der Politik“.
Wenn Schmitt behauptet:
„Der politische Gegensatz ist der intensivste
und äußerste Gegensatz und jede konkrete Gegensätzlichkeit ist umso
politischer, je mehr sie sich dem äußerten Punkte, der Freund-Feind-Bestimmung,
nähert“,
dann bedeutet
es, daß er die Politik zum höchsten und damit zu einem quasi-theologischen
Kriterium erklärt. Gleichzeitig definiert er aber, was Politik ist, wiederum
damit, daß es sich um den äußersten Gegensatz handele. Denn historisch soll das
Wesen des Politischen nicht bestimmt sein. Die Schrift begeht einen klassischen
Zirkelschluß, der jedoch Interesse erweckt, weil es darin um das Existentielle
geht. Um den Menschen nicht als Subjekt oder Person, sondern als Lebewesen –
als biologisches Wesen, auch wenn die Autoren zu vornehm sind, das offen
auszusprechen. Deshalb sind solche Zeugnisse nicht nur „moderner“ als das
nationale Bekenntnis, sondern auch moderner als jede linke Überzeugung. Sie
beziehen die Vereinzelung und Anonymität in der Massengesellschaft mit ein. Sie
gehen vom Nihilismus bereits aus.
HEIDEGGER
Während
Jünger und Schmitt bloß Splitter der epochalen Problematik bieten, versucht
Martin Heidegger, ein Gesamtbild des Zivilisationsmenschen in seiner Notlage zu
zeichnen. Im Zentrum steht auch hier der entwurzelte Einzelne. Durch die
Zivilisation ist er nicht nur gesichert, sondern auch beschäftigt
(„geschäftig“). Die Realität begegnet ihm nur als Vielzahl von Gegenständen,
die ihn alle miteinander gleichgültig lassen. Die Spannung, die von dem Buch ausgeht,
kommt dadurch zustande, daß der einzelne eine Erfahrung macht, die ihn aus
seiner Gleichgültigkeit herausreißt. Welche Erfahrung das konkret ist, läßt
Heidegger offen. Vom Krieg spricht er nicht. Trotzdem ist das, was er in seinen
berühmten „Daseinsanalysen“ beschreibt das gleiche, was auch Ernst Jünger und
Carl Schmitt meinen. Und was Adolf Hitler beschwört, wenn er seine Zuhörer „erwecken“
will. Bei Heidegger erhält die „existenzielle Erfahrung“ ihren höchsten
Abstraktionsgrad. Genannt wird nicht der Gegenstand der Erfahrung, weil die Art
der Begegnung keine Subjekt-Objekt-Beziehung mehr ist. Genannt wird nur die
„Stimmung“, in die der einzelne durch die Begegnung gerät. Sie wird bezeichnet
mit dem Wort „Angst“. Angst ist von der Furcht unterschieden dadurch, daß sich
der Gegenstand der Angst nicht mehr als Gegenstand fassen läßt. Die Sprache
versagt, und die Einsamkeit wird absolut.
Auch bei
Heidegger ist die „Grenzerfahrung“ eindeutig positiv aufzufassen. Erst der
Kontrollverlust und das totale Ausgeliefertsein des einzelnen an etwas
Übermächtiges enthält die Möglichkeit zu einem Neuanfang. „In der hellen Nacht
des Nichts der Angst ersteht erst die ursprüngliche Offenheit des Seienden: daß
es Seiendes ist und nicht nichts“, formuliert Heidegger Ende der 20er Jahre.
Daß „nicht nichts ist“, bedeutet: daß der Mensch nicht allein ist und nicht in
allem wieder nur sich selbst findet, sondern daß er sich an etwas, das anders
ist, zu bewähren hat. Im Grunde handelt es sich um eine religiöse Erfahrung,
die keine traditionelle religiöse Form mehr annimmt.
Martin Heidegger 1933/34 |
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