Mittwoch, 1. Februar 2012

Krieg 3

Wie Hitler so ging es auch vielen seiner späteren Anhänger und Mitstreiter. Sie hatten im Krieg eine Art „zweite Geburt“ erlebt und suchten dazu das passende Evangelium. Da gibt es als Erfahrungsbericht Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ (1920) und den biographischen Teil von „Mein Kampf“ (1925). Theoretisch behandeln das gleiche Motiv Carl Schmitt im „Begriff des Politischen“ (1927) und Martin Heidegger in seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ (1927).

JÜNGER
Voraussetzung für die übergeordnete = epochale Bedeutung des Kriegserlebnisses ist die Unabhängigkeit von politischen Motiven im engeren Sinne. Die existentielle Erfahrung soll ja eine politische Auffassung erst begründen, also muß sie fundamentaler (wesentlicher, „eigentlicher“) sein als Politik und Militär. Worum ging es im 1. Weltkrieg? Es ging noch einmal (zum letzten Mal) um die Durchsetzung nationaler Interessen. Worin bestanden diese Interessen? In einer höheren Beschleunigung des industriellen Fortschritts gegenüber dem Tempo anderer Nationen. Darum ging es aber den „Stahlgewittern“ nicht. Das zeigt auch ein anderes Buch von Ernst Jünger, „Afrikanische Spiele“, worin er seine Erlebnisse in der Fremdenlegion beschreibt. Dem Gymnasiasten, der heimlich das Elternhaus verläßt und nach Marseille fährt, um sich bei der Legion zu melden, geht es um den Krieg als solches, um den Kampf und um die Grenzsituation. Vor dem Tod hat er weniger Angst als vor dem, was ihm zu Hause droht.

Wovon die Vorkriegsgenerationen (von 1871 bis 1914) insgesamt bedroht sind, bezeichnet Friedrich Nietzsche mit dem Wort „Nihilismus“. Seitdem hat dieser Zustand auch verschiedene andere Benennungen bekommen. So spricht Peter Sloterdjik vom „Weltinnenraum“, in den sich die Erde dank der Globalisierung verwandelt habe. Obwohl der Terminus nicht negativ gemeint ist, handelt es sich um das gleiche Phänomen. Es erscheint so, als ob alles bereits erforscht, alles entdeckt, alles bekannt und beherrschbar sei und nichts mehr den Menschen wirklich herausfordern könne. Überall begegnet man nur dem, wovon man selbst bestimmt ist, dem menschlichen Maß. Es gibt nichts „Großes“ mehr, nichts „Fremdes“, nichts „Anderes“. Das Gegenüber des Menschen fehlt. Ursache dieser nihilistischen Stimmung ist die scheinbar vollkommene Beherrschung der Natur und der Erde durch die Technik. Die Technik selbst wird ausschließlich als Instrument des Menschen gesehen, als sein verlängerter Arm. Der Ausdruck „Gott ist tot“ bezeichnet weniger den Verlust des naiven Glaubens (der liegt historisch bereits zurück), sondern die Eingeschlossenheit des Menschen mit sich selbst, das „Fliegenglas“, wie Wittgenstein es nennen sollte.

„Freie Luft“ sucht Jünger bei der Legion und im Weltkrieg. Schon vorher hatte die bürgerliche Jugend sie auf Fahrten in die Wälder gesucht. Diese „Jugendbewegung“ richtete sich vor allem gegen die sogenannten höheren Ideale, die längst zu Heuchelei verkommen waren. Auch das gesamte europäische Bildungsgut wurde fragwürdig. War es nicht letztlich nur eine Ummäntelung des Profits und des Komforts? Der Reiz des Krieges besteht nicht in glorreichen Taten. Meist findet sich dazu gar keine Gelegenheit:

Nach kurzem Aufenthalt beim Regiment hatten wir gründlich die Illusionen verloren, mit denen wir ausgezogen waren. Statt der erhofften Gefahren hatten wir Schmutz, Arbeit und schlaflose Nächte vorgefunden, deren Bezwingung ein uns wenig liegendes Heldentum erforderte. Schlimmer noch war die Langeweile, die für den Soldaten entnervender als die Nähe der Todes ist.“ (In Stahlgewittern)
Doch auch die Langeweile in ihrer äußersten Form führt von der leeren Geschäftigkeit weg, in der der Nihilismus wirkt. Angst und Langeweile führen, wie Heidegger ausführen sollte, zum „Eigentlichen“.

SCHMITT
Die Untersuchung über den „Begriff des Politischen“ stellt den „Feind“ als Herausforderung dar, die den modernen Menschen aus seiner falschen Sekurität herausholt. Das Politische nach Schmitt hat mit Politik im traditionellen Sinne genauso wenig zu tun wie die „Stahlgewitter“ mit dem Krieg als „Fortsetzung der Politik“. Wenn Schmitt behauptet:

Der politische Gegensatz ist der intensivste und äußerste Gegensatz und jede konkrete Gegensätzlichkeit ist umso politischer, je mehr sie sich dem äußerten Punkte, der Freund-Feind-Bestimmung, nähert“,
dann bedeutet es, daß er die Politik zum höchsten und damit zu einem quasi-theologischen Kriterium erklärt. Gleichzeitig definiert er aber, was Politik ist, wiederum damit, daß es sich um den äußersten Gegensatz handele. Denn historisch soll das Wesen des Politischen nicht bestimmt sein. Die Schrift begeht einen klassischen Zirkelschluß, der jedoch Interesse erweckt, weil es darin um das Existentielle geht. Um den Menschen nicht als Subjekt oder Person, sondern als Lebewesen – als biologisches Wesen, auch wenn die Autoren zu vornehm sind, das offen auszusprechen. Deshalb sind solche Zeugnisse nicht nur „moderner“ als das nationale Bekenntnis, sondern auch moderner als jede linke Überzeugung. Sie beziehen die Vereinzelung und Anonymität in der Massengesellschaft mit ein. Sie gehen vom Nihilismus bereits aus.

HEIDEGGER
Während Jünger und Schmitt bloß Splitter der epochalen Problematik bieten, versucht Martin Heidegger, ein Gesamtbild des Zivilisationsmenschen in seiner Notlage zu zeichnen. Im Zentrum steht auch hier der entwurzelte Einzelne. Durch die Zivilisation ist er nicht nur gesichert, sondern auch beschäftigt („geschäftig“). Die Realität begegnet ihm nur als Vielzahl von Gegenständen, die ihn alle miteinander gleichgültig lassen. Die Spannung, die von dem Buch ausgeht, kommt dadurch zustande, daß der einzelne eine Erfahrung macht, die ihn aus seiner Gleichgültigkeit herausreißt. Welche Erfahrung das konkret ist, läßt Heidegger offen. Vom Krieg spricht er nicht. Trotzdem ist das, was er in seinen berühmten „Daseinsanalysen“ beschreibt das gleiche, was auch Ernst Jünger und Carl Schmitt meinen. Und was Adolf Hitler beschwört, wenn er seine Zuhörer „erwecken“ will. Bei Heidegger erhält die „existenzielle Erfahrung“ ihren höchsten Abstraktionsgrad. Genannt wird nicht der Gegenstand der Erfahrung, weil die Art der Begegnung keine Subjekt-Objekt-Beziehung mehr ist. Genannt wird nur die „Stimmung“, in die der einzelne durch die Begegnung gerät. Sie wird bezeichnet mit dem Wort „Angst“. Angst ist von der Furcht unterschieden dadurch, daß sich der Gegenstand der Angst nicht mehr als Gegenstand fassen läßt. Die Sprache versagt, und die Einsamkeit wird absolut.

Auch bei Heidegger ist die „Grenzerfahrung“ eindeutig positiv aufzufassen. Erst der Kontrollverlust und das totale Ausgeliefertsein des einzelnen an etwas Übermächtiges enthält die Möglichkeit zu einem Neuanfang. „In der hellen Nacht des Nichts der Angst ersteht erst die ursprüngliche Offenheit des Seienden: daß es Seiendes ist und nicht nichts“, formuliert Heidegger Ende der 20er Jahre. Daß „nicht nichts ist“, bedeutet: daß der Mensch nicht allein ist und nicht in allem wieder nur sich selbst findet, sondern daß er sich an etwas, das anders ist, zu bewähren hat. Im Grunde handelt es sich um eine religiöse Erfahrung, die keine traditionelle religiöse Form mehr annimmt.
Martin Heidegger 1933/34

In allen genannten Schriften geht es um einen Aufbruch, Ausbruch, Durchbruch und Zusammenbruch der bisherigen (zivilisierten) Welt. Im genauen Gegensatz dazu versprechen die Marxisten zum gleichen Zeitpunkt (nach der Oktoberrevolution 1917) die Vollendung der bisherigen Geschichte durch die letzte vollkommene Stufe der Entwicklung, den Kommunismus. Während die Marxisten die rein menschliche Welt herbeisehnen und bewerkstelligen wollen, sind deren Gegner darauf aus, diese „menschliche Welt“ zu verhindern, weil sie ihnen als das schlimmste Gefängnis erscheint. Die Marxisten knüpfen an den bürgerlichen Fortschrittsapparat an. Die Gegner knüpfen an die Risse in diesem Fortschrittsapparat an.


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