Donnerstag, 23. Februar 2012

Vortrag Silvia Stolz

Am Dienstag, 22. Februar, hielt Silvia Stolz in Berlin einen Vortrag. Am besten war der Anfang, denn er enthält den ganzen Irrtum der Holocaust-Leugner:

„Wer heute seinem Volk nützen will“, sagte Silvia Stolz sinngemäß, „wird als Nazi bezeichnet. Und der Begriff Nazi ist besetzt mit dem größten vorstellbaren Verbrechen. Auf diese Weise soll der Volkstreue außer Gefecht gesetzt werden.“
Weiter sprach Frau Stolz darüber, was man gegen diese Strategie tun könne. Ihr Vorschlag: die Bezeichnung Nazi akzeptieren und den Holocaust bestreiten.

Nett und sympathisch: Silvia Stolz


Das nützt aber genauso wenig wie die umgekehrte, von der NPD empfohlene Vorgehensweise, den Nazi-Vorwurf vehement zu bestreiten und die offizielle Holocaust-Version zu akzeptieren (siehe Holger Apfel neulich im „Spiegel“).
Beides nützt nichts, weil der eigentliche Vorwurf ein ganz anderer ist. Nationalsozialismus und Holocaust werden nur ins Feld geführt, weil es die schnellste und bequemste Art ist, nationale Forderungen zurückzuweisen. In Wirklichkeit geht es nicht gegen „Nazis“, sondern gegen die nationale Haltung als solche. „Wer seinem Volk nützen will“ ist an sich schon – ohne daß er mit Nationalsozialismus und Holocaust irgendetwas zu tun hat – aus der Politik ausgegrenzt. Eine nationale Position läßt sich nicht durchsetzen und wird sich nicht durchsetzen lassen.
Warum das so ist, wissen nicht nur die Nationalen nicht, sondern auch die anderen können es meist nicht gut begründen. Sie haben einfach das Gefühl, daß der Nationalismus irgendwie böse und inhuman ist, und greifen daher auf die Nazi-Keule zurück.
Es gibt aber ganz andere, stichhaltige Gründe dafür, daß der Nationalismus des 18. und 19. Jahrhunderts für die Zukunft nichts taugt. Diese Gründe sind allerdings nicht so plakativ. Sie verlangen eine kühle Reflexion.
Es gibt heute eine Technik, die in sich global ist und die Welt ständig kleiner macht. Mit dem Flugzeug ist man in wenigen Stunden an jedem beliebigen Ort. Mit dem Internet in einer Minute. Wenn in Rußland ein Atomkraftwerk explodiert, sind in Bayern die Pilze vergiftet. Es ist billiger, Früchte und Blumen über tausend Kilometer zu transportieren, als sie um die Ecke anzubauen. Die Kleidung, die wir tragen, wäre unbezahlbar, wenn sie nicht aus Indien oder China stammte. Das gleiche gilt für Computer und Kaffemaschinen.
Es ist also, schlicht gesagt, Schwachsinn, zum alten Nationalstaat zurückkehren zu wollen. Und diesen Unsinn kauft das Volk nicht ab. Deshalb haben die nationalen Parteien keine Chance. Nationalismus hat höchstens dort eine vorübergehende Chance, wo es darauf hinausläuft, als schwaches Land mehr von den stärkeren, vor allem von Deutschland, abzuschöpfen. Bei den Deutschen selber funktioniert dieses Vorhaben natürlich nicht. Weil wir stark sind, brauchen wir umgekehrt die schwächeren Länder als Abnehmer unserer Produkte. Deshalb wählen die Deutschen nicht rechts. Das Volk ist zwar einfältig, aber nicht schwachsinnig. Es weiß, wo seine Arbeitsplätze und Produkte herkommen.
Der nationale Gartenzwerg

Der besondere Witz besteht nun darin, daß gerade die Nationalsozialisten gar keinen Nationalismus im traditionellen Sinne mehr vertreten haben. Deshalb haben sie sich schon damals gegen andere nationale Gruppierungen durchsetzen können. Es ging um Großraumordnung (die Vorstufe zur „Weltordnung“), um das Reich und um die Rasse. Alles Prinzipien, die sich auf die moderne technisch-wirtschaftliche Entwicklung beziehen lassen. Daß die Bemühungen um „Autarkie“ als Kriegsvorbereitung dienten, wird nur jemand abstreiten, der Hitler für einen „Rhetor und einen Biedermann“ hält. Das Zitat stammt von Ernst Nolte. Es bezieht sich allerdings nicht auf den Krieg, sondern auf den Holocaust. Der Historiker räumt ein, daß es etliche ungeklärte Fragen zu diesem Thema gibt, für ihn jedoch überwiegen die Argumente, die für eine zielgerichtete Massentötung sprechen. Eines dieser Pro-Argumente besteht für Nolte in der „extremen Unwahrscheinlichkeit, daß Hitler lediglich ein Rhetor und ein Biedermann war“ (E.N., Späte Reflexionen, Wien/Leipzig 2011, S. 84).
Immer älter, immer klüger: Ernst Nolte

Jemand, der Hitler trotz der „extremen Unwahrscheinlichkeit“ für einen Biedermann hält, ist Silvia Stolz. Sie glaubt, daß die Juden unser Unglück sind, aber sie glaubt nicht, daß die Nazis ernst gemacht haben. Sie glaubt auch, das kam gegen Ende des Vortrags zur Sprache, daß die Deutschen „nicht nur an sich selbst denken“. Sie denken mit Vorliebe an „das Ganze“. Hegel nennt es „Geist“. Trotzdem glaubt sie an die nationale Gartenlaube, wo wir unsere Kartoffeln selbst anbauen und die Pullover aus Schafwolle stricken. Man könnte meinen, daß es sich hier um eine typisch weibliche Rückzugshaltung und Sentimentalität handelt. Doch das hat nicht mit dem Geschlecht zu tun, sondern mit der Ghettoisierung. Wer immer klein gehalten wird, neigt auch zum kleinen Denken.
Es wäre tatsächlich erfolgversprechender, an den Nationalsozialismus anzuknüpfen als an einen veralteten Nationalismus. Dann müßte man allerdings den Nationalsozialismus von nostalgisch-biedermännischen Vorstellungen freimachen. Und das erste wäre das offene Eingeständnis der Verbrechen.
Der deutsche Geist

Mittwoch, 22. Februar 2012

Brief über Breker

Werner X. hat einen Brief an Jürgen Trimborn geschrieben. Mich und andere läßt der Verfasser am Inhalt des Briefes teilhaben. Es geht um die Biographie über Arno Breker, die Trimborn im letzten Jahr veröffentlicht hat. X. ärgert sich über das Buch und weist dem Autor in einem sechsseitigen Schreiben der Reihe nach Sachfehler und unangemessene Bewertungen nach. Diese Kritik dürfte Jürgen Trimborn aber nichts Neues sein, denn schon die Rezension am 29. November letzten Jahres in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ war negativ ausgefallen. Was die FAZ auszusetzen hatte, entspricht im wesentlichen den Einwänden, die auch X. vorbringt. Im Zentrum steht der Vorwurf, daß eine einseitig politisch-moralische Verurteilung kein Kunstverständnis ersetzt. Sieht man sich an, was Trimborn bisher so getrieben hat, wundert man sich nicht mehr über seine mangelnde ästhetische Sensibilität. Biographien über Romy Schneider und Johannes Heesters mögen unterhaltsam und gut verkäuflich sein, für eine Beurteilung der Kunst des 20. Jahrhunderts bereiten sie nicht optimal vor.

Interessanter als die Kritik von Trimborn ist jedoch die Frage, wie wir selber zu den Kunstwerken von Breker stehen. Auch dazu hat sich X. in seinem Brief geäußert:
Auch ich bin beileibe nicht mit allem einverstanden, was Breker im Laufe seines Lebens geschaffen hat“, schreibt er. „Insbesondere die ganz monumentalen überdimensionierten Werke sagen mir nicht zu, wie auch Zahlreiches, was er nach dem Krieg machte. Vieles davon ist mir viel zu geglättet, zu manieriert, zu seelenlos, zu perfekt.“

Trotz dieser Einwände steht am Schluß des Schreibens eine geradezu euphorische Würdigung:
Die Sonne Apollos durchglühte Brekers Leben und seine Hand berührte mit den zarten Blütenblättern einer Rose die Marmorlippen der römischen Göttin. Brekers Leben waren die Schönheit und die Kunst, ungebrochen in Glück und Unglück.“

Diese Aussage steht in direktem Gegensatz zu der vorangehenden Bemerkung:
Das ganze Gerede nach 1945 vom humanistischen Menschenbild oder der christlichen Inspiration, vom Prophet des Schönen und dem Vollender der Antike geht mir selbst vielleicht noch mehr auf die Nerven als Ihnen.“ Dazu bringt X. eine interessante Erläuterung: „Ich habe selbst einige Zeit gebraucht, um diese Tatsache anzuerkennen und einen früher eingenommenen Standpunkt zu revidieren.

Der Widerspruch zeigt jedoch, daß der Standpunkt des Verfassers zu seinem eigentlichen Thema – Breker und die nationalsozialistische Kunst – noch immer nicht ganz ausgereift ist. Oft täuscht man sich über die eigene Unsicherheit hinweg, indem man antifaschistische Fehlurteile spielend widerlegt. Doch die echten Fragen fangen erst danach an.
Die Frage ist, ob tatsächlich die „politische Verstrickung“ bei Breker eines Tages keine Rolle mehr spielen wird und der Künstler Aufnahme in den Olymp der ewigen Meister wie Perikles oder Michelangelo findet oder zumindest den anerkannten Plastiken des 19. Jahrhunderts gleichgestellt wird. Das „Gerede“ vom Prophet des Schönen und Vollender der Antike würde sich dann als Wahrheit erweisen. Die Anklage, einen spezifisch „nationalsozialistischen Stil“ geschaffen zu haben, der untrennbar mit der nationalsozialistischen Lehre und Praxis verbunden ist, müßte fallengelassen werden. Darf man das tatsächlich hoffen? Und kann man es überhaupt wünschen?
X. kritisiert ganz bestimmte Merkmale an Brekers Arbeiten: das „Monumentale“, das „Seelenlose“ und das „Perfekte“. Nun sind das gerade die Kennzeichen, die Breker von einer bloß gelungen Kopie der antiken Werke unterscheiden. Gerade durch diese Verzerrungen bekommen die Werke ihre Einmaligkeit und Besonderheit. Gleichzeitig widersprechen sie dem tradierten klassischen Schönheitsempfinden, das auf Maß und Menschlichkeit aus ist. Das gilt gerade auch für die griechischen Plastiken. Sie sind schön, aber auch „edel“. Die Breker-Plastiken ähneln zwar den antiken, sind aber in charakteristischer Weise verformt. Das führt zu einem völlig anderen Eindruck. Und diesen Eindruck empfinden wir spontan als störend oder provozierend. Mit seiner Monumentalität, Seelenlosigkeit und Perfektion durchbricht Breker die herkömmlichen ästhetischen Kategorien. Dadurch werden seine Werke in spezifischer Weise „modern“. Ihre verstörenden Merkmale spiegeln die eigene Zeit wider – nur auf andere Art als die moderne Kunst, die von den Nationalsozialisten als entartet betrachtet wurde. Es ist klar, daß das Monumentale, Perfekte und Seelenlose mit der Technisierung im 20. Jahrhundert zusammenhängt. Dadurch sieht man den Menschen anders. Man sieht ihn auch körperlich geprägt von den technischen Möglichkeiten, die sich ihm für die Zukunft eröffnen. Diese Möglichkeiten gehen über das hinaus, was bisher dem Menschen zugeschrieben wurde. Konkret kann man bei Breker an eine kommende genetische Manipulation in Richtung „Übermensch“ denken. Ob einen das nun anheimelt oder eher abschreckt, jedenfalls erweist sich der Künstler mit diesem Motiv als äußerst zeitgemäß.
Man kann die NS-Kunst nur richtig würdigen, wenn man sie als eine spezielle Variante der „modernen Kunst“ versteht. Zwar setzt sie sich in bewußten Gegensatz dazu, aber gleichzeitig ist sie auch selbst Teil davon. Es stimmt nicht, daß hier nur die tradierten Formen gewahrt und alte Motive wiederholt werden. Vielmehr dienen diese Mittel dazu, um auf die Situation des 20. Jahrhunderts zu reagieren – allerdings kämpferisch. Das gilt nicht nur von Breker, sondern zum Beispiel auch von den opulenten Blut-und-Boden-Gemälden. Wenn man diese Bilder ansieht, merkt man sofort, daß hier nicht eine ursprüngliche ländliche Lebensweise realistisch dargestellt wird. Die Bilder wirken nicht als Erholung fürs Auge, sondern als Schlag ins Gesicht. Diese Bauern und Ackerpferde sind Fanale gegen die Enfremdung: darin ähnlich wie die Werke des „Sozialistischen Realismus“. Gerade in dem, was uns an diesen Bildern unangenehm oder peinlich berührt, liegt ihre spezifische Qualität und nicht etwa in den handwerklichen Fertigkeiten, die die Künstler mehr oder weniger auszeichnet.
Damit ist diese Kunst genauso untrennbar an die nationalsozialistische Ideologie gebunden, wie die mittelalterliche Kunst an den katholischen Glauben gebunden ist. Wenn man meint, das trennen zu können und „rein ästhetisch“ von einer Madonna schwärmt, so handelt es sich um ein gelehrtes Mißverständnis. Der eigentliche Gehalt des Kunstwerkes ist immer seine Botschaft, und diese Botschaft ist nicht ewig, sondern historisch bedingt. Man wird Breker immer dafür bewundern, wie er den nationalsozialistischen Gedanken zum Ausdruck brachte, und wenn man von diesem Gedanken nichts mehr weiß, so wird man durch die Berührung mit den Werken auf die historischen Hintergründe neugierig werden. Mit griechischen Göttern werden Brekers Figuren niemals zu vergleichen sein. Und gerade diese Unvergleichbarkeit macht seine Größe aus.

Kasseler Apollon 100 n. Chr.







Arno Breker, Erwartung

Es ist nicht das Privileg von Picasso, wenn zum Verständnis seiner Werke bestimmte Kenntnisse gehören. Es nicht das Privileg der „entarteten Kunst“, die moderne Zeit zu repräsentieren. Und schließlich ist es nicht das Privileg von Skandalkünstlern, das Publikum zu provozieren. Das kann die NS-Kunst genauso gut.

Freitag, 17. Februar 2012

Nachricht 4

Zwanzig Jahre nach seinem Tod ist ein weiterer „Wissenschaftsnazi“ enttarnt worden. Es handelt sich um den Professor der evangelischen Theologie Otto Michel. Seit 1933 war er Mitglied der NSDAP und anfangs auch in der SA.

Richtig interessant wird die Sache dadurch, daß Michel sich nach dem Krieg zum besonderen Verfechter des jüdischen Erbes innerhalb des Christentums gemacht hat. Und dabei handelte es sich nicht nur um billige Sympathieerklärungen, sondern echte Forschungsergebnisse hat der Professor auf diesem Gebiet zutage gefördert. Die „Rückkehr zum hebräischen Denken“ nannte er das, wohlgemerkt immer innerhalb des Protestantismus. „Er verfügte ein unwahrscheinliches Gespür für die alten Texte Judentums“, bezeugt ein Kollege.
Und nun kommt das Unwahrscheinlichste: wie nämlich der Schatten den frommen Mann einholte. Wenige Monate vor seinem Tode hatte er sich in Sichtweite des Bettes eine hölzerne Standscheibe von einer Thora-Rolle (der hölzerne Griff) aufgestellt. Später kam sie ins Tübinger Stadtmuseum – bis ein findiger Antifaschist herausfand, daß man das Stück einst einem polnischen Juden entwendet und höchstwahrscheinlich dem Nazi-Forscher Michel zur Verfügung gestellt hatte.

Übrigens war die nationalsozialistische „Judenforschung“ in Tübingen besonders aktiv. Und sie bestand nicht nur in der Ausmessung von Nasenlängen, sondern durchaus auch im Studium der Originaltexte. So konnte sich der junge Wissenschaftler mit Parteibuch auf seine spätere Karriere als Philosemit und Versöhnungstheologe gut vorbereiten.
Es gibt offenbar Menschen, die sind so an ihrem „Stoff“ interessiert, daß es ihnen zweitrangig vorkommt, von welcher Richtung her der Zugriff auf diesen Stoff erfolgt. Das sind die richtig-echten Wissenschaftsmenschen. Und wo er recht hat, hat er recht: Im Christentum ist viel Judentum und im Protestantismus besonders. Das „jüdische Erbe von Jesus“ ist ein lohnendes Thema. Ob Judenfreund oder Judenfeind spielt da gar keine so große Rolle.

Rechtmäßiger Erbe der Thorascheibe ist der Psychologe Avner Falk. Der schreibt jetzt ein Buch über den Fall.
So sieht die "Thorascheibe" aus

Griechischstunde

Eine Frage, die in der aktuellen Diskussion immer zu kurz gekommen ist: WOZU BRAUCHEN WIR EIGENTLICH DIE GRIECHEN?

Es gab übrigens schon mal eine Zeit, wo ganz Europa glaubte, daß man den Griechen unbedingt helfen müsse. Das war um 1820. Da wollte sich Griechenland von der 300-jährigen türkischen Vorherrschaft befreien. Dabei fiel es den Europäern auf, daß die Griechen noch existierten. Sie waren nicht ausgestorben und hatten Europa die Kultur hinterlassen, sondern sie hatten Europa die Kultur hinterlassen und waren noch immer da. Obwohl man sie inzwischen zur Kultur längst nicht mehr brauchte, weil die alten Griechen alles aufgeschrieben hatten und eine Menge Gelehrte aus aller Welt das sehr gut lesen konnten. Trotzdem trieben sich in Griechenland immer noch Menschen herum und wollten jetzt auch noch Anteil an den Menschenrechten. Eine peinliche Situation für die Europäer, zumal sie zum Osmanischen Reich ganz gute Wirtschaftsbeziehungen hatten.

Eines Tages dürfte das auch unser Schicksal sein. Dann wird man sich fragen, wozu eigentlich die Deutschen da sind. Alles, was wir erdacht und gemacht haben, ist der Überlieferung anvertraut, und im Unterschied zu Platon und Aristoteles wird man uns sogar im Film sehen können. „Die Deutschen!“, wird man so bedeutungsvoll ausrufen, wie man im 19. Jahrhundert ausrief „Die Griechen!“ Und wie mit „den Griechen“ natürlich immer die alten Griechen gemeint sind, so meint man in fünfhundert Jahren mit „den Deutschen“ immer die Originaldeutschen und nicht das Völkchen, das dann zwischen Maas und Memel ein mehr oder weniger angenehmes, aber bedeutungsloses Dasein führt. Und das in einem Idiom spricht, das nur noch von ferne an die Sprache Humboldts, Hölderlins oder Himmlers erinnert.

Wieso Himmler? Weil sein Vater Lehrer für Griechisch und Latein war, „Altphilologe“ nennt man das, und Oberstudiendirektor an einem Gymnasium. Ein gelehrter Mann. Leider hatte er sich mit seinem Sohn schon früh überworfen. Zwar führte Heinrich von Kindheit an ein Tagebuch, das der Vater regelmäßig kontrollierte, und konnte schon deshalb nichts Verbotenes tun, weil er es dann hätte eintragen müssen. Und bis zum Abitur ging der Sohn auch jeden Sonntag mit zum Hochamt. So nennt man eine Messe mit allem Drum und Dran und natürlich in lateinischer Sprache. Denn Oberstudienrat Himmler war nicht nur Gräzist, er war auch katholisch und sah darin keinerlei Widerspruch. Im Gegenteil: Antike und Christentum begründen beiderseits die europäische Bildung. Und beides ist in die Gestalt des humanistischen Gymnasiums eingegangen. Im humanistischen Gymnasium wurde damals die Elite erzogen – und ganz besonders im Wittelsbacher Gymnasium in München, wo Himmler unterrichtete.
Woher wir das alles wissen? Auf die gleiche Schule ist zufällig ein Schriftsteller gegangen, der es im Nachkriegsdeutschland zu einigem Ansehen gebracht hat. Alfred Andersch heißt er, ein Mitglied der Gruppe ´47 und beliebter Lesebuchautor, weil seine Geschichten so lehrreich sind. Über seinen ehemaligen Schuldirektor – im Schülerjargon „Rex“ genannt, das lateinische Wort für „König“ – hat er auch eine Geschichte geschrieben. Die Gelegenheit hat er sich nicht entgehen lassen, eine die bedeutungsvolle Begegnung literarisch auszuwerten. Von dem Vater von Himmler in der Schule unterrichtet zu werden, muß schon ein Erlebnis sein. Leider hat der Schüler es damals nicht gewußt. Er wußte nur, daß der „Rex“ einen Sohn hat, der zu den „Hakenkreuzlern“ gehört, und daß der Vater damit überhaupt nicht einverstanden war.

Es gibt nun zwei Arten, die Erzählung von Alfred Andersch aufzufassen. Entweder liest man sie so, wie der Autor es gewollt hat. Schon im Titel „VATER EINES MÖRDERS“ drückt sich diese Autorenabsicht aus. Er will sagen: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Der Lehrer verhält sich im Klassenzimmer genauso wie sein Sohn sich gegenüber den Volksfeinden verhält. Zwar kann der Lehrer seine Schüler nicht physisch vernichten, aber ihre armen Kinderseelen oder zarten Jugendtriebe werden durch die „schwarze Pädagogik“ grausam hingemordet. Schwarze Uniform, schwarze Pädagogik. Auch haben sich die beiden später wieder versöhnt. Der weltanschauliche Streit betrifft für Andersch nur die Generationenfrage. Der Nationalsozialismus ist neu, das kann der Alte zunächst nicht verkraften. Im Prinzip aber vertritt er das gleiche: DRILL, AUTORITÄT, SADISMUS. Das Unterrichten trägt beim „Rex“ alle Züge einer Folter. Sein Folterinstrument ist die griechische Grammatik. Sie taugt dazu bestens, weil ihre Beherrschung nicht nur Intelligenz, sondern zusätzlich eine Menge Fleiß erfordert. Beides zusammen bringen nicht alle Schüler auf. Weil aber das humanistische Gymnasium die griechische Sprache als „Schlüsselqualifikation“ betrachtet, kann er legitimerweise alle, die nicht über sein Stöckchen zu springen vermögen, als komplette IDIOTEN hinstellen und teilweise sogar von der Schule und damit aus dem Reich der höheren Bildung verweisen.
Vater eines Mörders: Verfilmung BRD 1985


Himmlers Vater ist ein korpulenter Herr mit gepflegter bürgerlicher Kleidung und ohne den Hauch eines militärischen Habitus. Und doch versteht ihn Andersch so zu schildern, daß die zivilisatorischen Hüllen abfallen und das „herrliche Raubtier“ herausschaut. Es gibt solche korpulenten Leute, die gleichzeitig federnd und elastisch auftreten. Der Rex lauert hinter dem Schüler, und dann springt er ihn an. Dabei glitzern die blauen Augen hinter den Brillengläsern genau so, wie man es sich beim Reichsführer vorstellt. Umgekehrt hat Heinrich Himmler durchaus etwas Oberlehrerhaftes. Er ist eigentlich kein Soldatentyp, sondern ein Gelehrtentyp. Dazu paßt auch die Aufgabe des „Ahnenerbes“. Man kann das als Ähnlichkeit verbuchen, aber diese Ähnlichkeiten sind doch oberflächlich, während durch die Familie Himmler und durch das ganze DEUTSCHE BILDUNDSBÜRGERTUM ein tiefer weltanschaulicher Riß geht. Das ist die zweite Lesart.
„Der Humanismus schützt vor gar nichts“, formuliert der Autor das Resultat seiner Beobachtungen. Beobachtungen an der Familie Himmler, die aufs deutsche Bildungsbürgertum zu übertragen sind. Das „humanistische“ Gymnasium soll ein bestimmtes Menschenbild vermitteln. Das Menschenbild, das die alten Griechen entworfen haben. Es zeichnet sich aus durch den hohen Anspruch an den Menschen. Er soll von der Vernunft bestimmt sein und sich entsprechend gerecht und selbstbeherrscht benehmen. Gäbe es nur Menschen, die diesem Ideal entsprechen, so herrschte eine allgemeine Harmonie. Diese Vorstellungen sind in Europa immer leitend geblieben. Wie sehr auch die Realität davon abwich, es hat doch nie ein anderes Leitbild gegeben. Der kriegerische Mensch, wie ihn das „Ahnenerbe“ als indogermanisch (arisch) propagierte, entspricht nicht dem humanistischen Ideal. Auch deshalb versuchten Himmlers Wissenschaftler, den Krieger im asiatischen Raum auszumachen.
Merkwürdig ist, daß sie nicht darauf kamen, in Griechenland selbst danach zu suchen. Wer das getan hat, war Friedrich Nietzsche, selbst ein Professor der klassischen Philologie. Seine Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ behandelt genau diesen Konflikt zwischen humanistischem Griechentum und einem anderen ursprünglicheren und weniger zivilisierten Griechenland, das die Bezeichnung „DIONYSISCH“ erhält. Das Dionysische wird mit der Musik von Richard Wagner assoziiert, Wagner inspirierte Hitler. Es ist wohl keine Frage, daß auch der Nationalsozialismus ein „dionysisches“ Potential enthält, das sich vom humanistischen Bildungsideal diametral. Aus dem neuen Griechentum kommt auch ein neues Deutschtum. Insofern ist der Konflikt zwischen Himmler Vater und Sohn viel spannender: „Der Humanismus schützt vor gar nichts“? Schlimmer: der Humanismus ist BANKROTT wie der griechische Staat.
Noch vor Nietzsche hat Friedrich Hölderlin das Griechentum in Abgrenzung von den Klassikern Goethe und Schiller neu betrachtet. Auch er stößt auf den Gott Dionysos, der für Rausch und Ekstase steht. Bezeichnenderweise formt sich das Christentum aus der Dionysos-Gestalt, die bocksbeinig und mit Hörner dargestellt wurde, seine populäre Vorstellung vom Teufels. Dagegen steht der Kunstgott Apollon. Am 20. April 1937 bekam Hitler von Heinrich Himmler ein Buch geschenkt: „Luzifers Hofgesind“ von Otto Rahn. Ein Buch, das Himmler auch dann noch propagierte, nachdem Rahn sich umgebracht hatte. Damit war Heinrich eindeutig vom Gott der Vaters zum Gegengott DIONYSOS-LUZIFER-HITLER gewechselt.
Gott Dionysos: "den Tiger reiten"

Zu der Zeit, als Himmler senior am Wittelsbacher Gymnasium Griechisch unterrichtete, waren die Klassiker in ihrer humanistischen Auffassung längst überholt. Was er seine Schüler lehrte, war eine Form, aus der der Geist gewichen war. Insofern ist das Unbehagen des Schülers Andersch an diesem Unterricht verständlich. Es stimmt mit dem Unbehagen Heinrich Himmlers an seinem Elternhaus überein. Daher kommen sich der linke Revoluzzer und der junge Nationalsozialist auch in der Erzählung merkwürdig nahe: „weil ihm der junge Himmler, obwohl er ihn nicht kannte, sympathisch war; an einem Sohn, der vor diesem Vater, vor dieser alten, abgespielten und verkratzten Sokrates-Platte stiften gegangen war, mußte ja etwas dran sein.“ - Vor allem dann, wenn er sich ein neues Vorbild sucht, das nicht einmal das Abitur gemacht hat.
Allerdings reicht es nicht, gegen die bürgerliche Bildung aufzugehren. Sonst wird nur Disziplinlosigkeit und Schwäche daraus. Von der Warte des Antiautoritären stimmen allerdings der bürgerliche Vater und der nationalsozialistische Sohn überein: beide haben eine Macht, an die sie glauben. Allerdings ist es eine völlig andere Macht. Statt des idealen Menschen als Leitbild ist es jetzt der wilde Urgrund, aus dem dieser sich erst entwickelt hat. Statt des eigenen idealisierten Spiegelbilds ist es etwas dem Individuum völlig Fremdes und ihm gegenüber GRAUSAMES.
Nach dieser Unterrichtsstunde können wir uns wirklich fragen: Brauchen wir die Griechen? Die Antwort ist ernüchternd: Im Grunde brauchen wir sie nicht mehr und nicht weniger als die Tibeter oder die Samurai. Vor allem brauchen wir jetzt die DEUTSCHEN. Das ist auch den Griechen klar. Aus Ärger darüber verzieren sie jetzt die Bundeskanzlerin mit einem Hakenkreuz. Auch das brauchen sie offensichtlich.





Mittwoch, 15. Februar 2012

Nachricht 3

In dieser Woche steht im „Spiegel“ eine Geschichte über die NPD. Darin wird unter anderen Holger Apfel befragt. Man stellt ihm auch folgende Frage:

War Hitler ein Verbrecher?

Apfel antwortet darauf erstaunlicherweise nicht mit einem klaren „Ja“. Ein klares Ja wäre auf jeden Fall besser gewesen. Erstens hätte es die „Spiegel“-Leser erstaunt. Zweitens hätte es bewiesen, daß auch Holger Apfel – genau wie Hitler selbst – die Fähigkeit hat, den Leuten offen ins Gesicht zu lügen. Er hätte dazu – wie Hitler – noch ergänzen können, daß das Lügen zum politischen Geschäft gehört. Dann wären die „Spiegel“-Leser vollends verwirrt gewesen.

Stattdessen hat Apfel auf diese Frage die Auskunft verweigert. Auf die Frage, warum er die Auskunft verweigert, soll er gesagt haben: „Darum.“ Das kommt nicht gut. Da könnte der „Spiegel“-Leser annehmen, Apfel hält Hitler für einen „Verbrecher“, will es aber nicht sagen, um die Basis nicht zu enttäuschen.

Am besten wäre es gewesen, den „Spiegel" auf Nietzsche und den Aphorismus 45 der „Götzendämmerung“ hinzuweisen. Da steht allerhand Interessantes zum Thema. Einiges paßt auch auf unseren Fall:

Ich richte die Aufmerksamkeit darauf, wie noch jetzt, unter dem mildesten Regiment der Sitte, das je auf Erden, zum Mindesten in Europa, geherrscht hat, jede Abseitigkeit, jedes lange, allzulange Unterhalb, jede ungewöhnliche, undurchsichtige Daseinsform jenem Typus nahe bringt, den der Verbrecher vollendet. Alle Neuerer des Geistes haben eine Zeit das fahle und fatalistische Zeichen des Tschandala auf der Stirn: nicht, weil sie so empfunden würden, sondern weil sie selbst die furchtbare Kluft fühlen, die sie von allem Herkömmlichen und in Ehren Stehenden trennt. Fast jedes Genie kennt als eine seiner Entwicklungen die „catilinarische Existenz,” ein Hass-, Rache- und Aufstands-Gefühl gegen Alles, was schon ist, was nicht mehr wird ... Catilina — die Präexistenz-Form jedes Caesar.“

Nun müßte man noch wissen, wer „Catilina“ war. Intellektuelle braucht man in der Politik normalerweise nicht, in den etablierten Parteien sind sie daher auch nicht zu finden. Eine revolutionäre Partei aber braucht Intellektuelle, weil eine etablierte Partei im Unterschied zur revolutionären mit dem „Spiegel“ nicht über das Verbrechen reden muß, sondern höchstens über falsch abgerechnete Dienstwagen.

Präexistenzform eines Cäsar


 Auch zur Ausländerkriminalität bringt der Aphorismus einigen Aufschluß:
Der Verbrecher-Typus, das ist der Typus des starken Menschen unter ungünstigen Bedingungen, ein krank gemachter starker Mensch. Ihm fehlt die Wildnis, eine gewisse freiere und gefährlichere Natur und Daseinsform, in der Alles, was Waffe und Wehr im Instinkt des starken Menschen ist, zu Recht besteht. Seine Tugenden sind von der Gesellschaft in Bann getan; seine lebhaftesten Triebe, die er mitgebracht hat, verwachsen alsbald mit den niederdrückenden Affekten, mit dem Verdacht, der Furcht, der Unehre. (…) Die Gesellschaft ist es, unsre zahme, mittelmäßige, verschnittene Gesellschaft, in der ein naturwüchsiger Mensch, der vom Gebirge her oder aus den Abenteuern des Meeres kommt, notwendig zum Verbrecher entartet.“
Man muß sich also fragen, ob die kriminellen Moslems nicht das allerbeste Menschenmaterial für eine künftige SA hergeben. Stiefel braucht man ihnen nicht mehr zu kaufen, die Waffen bringen sie auch selbst mit. - Mit diesem Statement hätte Apfel den „Spiegel“ am meisten geärgert.


Naturwüchsiger Mensch

Freitag, 3. Februar 2012

Krieg 6

NAZI-REDEN

Wie unterscheidet sich die nationalsozialistische Massenveranstaltung von der kommunistischen? Auch in diesem Punkt hat „Mein Kampf“ keine richtige Auskunft gegeben. Es klingt so, als handle es sich bei der ns Propaganda weitgehend um einen Abklatsch von der kommunistischen. Fahnen und Plakate sind rot wie bei den Kommunisten. Große Versammlungssäle werden angemietet, wie sie bis dahin nur die Kommunisten füllen konnten. Proletarisches und halbproletarisches Publikum strömt herein, wie es sich auf nationalen Veranstaltungen bisher nicht sehen ließ. Man marschiert durch rote Stadtteile, dichtet rote Kampflieder um und kopiert den „Rotfrontkämpferbund“ durch die SA. Auf diese Übereinstimmungen ist Hitler geradezu stolz. Das scheint Ernst Nolte zu bestätigen, der den NS in erster Linie als Reaktion auf die Bedrohung des Bolschewismus auffaßt. In seinem letzten Buch „Späte Reflexionen“ (2011) hat der greise Historiker seine eigene These jedoch in Frage gestellt:
Wenn Hitler nur ein militanter Antikommunist gewesen wäre, hätte er dann überhaupt eine große Massenbewegung hinter sich bringen können?
Was hätte sein können, kann man nicht wissen. Wer aber die Berichte über die frühen NS-Massenveranstaltungen kennt, sieht klar, daß Hitler nicht nur ein militanter Antikommunist gewesen ist, und daß seine Propaganda nicht bloß ein umgekehrtes Spiegelbild der kommunistischen Propaganda ist. Trotz ähnlicher Räume und Requisiten wirkt eine NS-Veranstaltung von Grund auf anders als eine kommunistische Veranstaltung. Über diese zentrale Unterscheidung findet sich in „Mein Kampf“ kein Wort. Hitler läßt lieber den Eindruck entstehen, er sei ein bloßer Nachahmer oder neidischer Konkurrent, als eine geheime Wahrheit auszusprechen.

Die Bilder ...



Denn während die Kommunisten ihren Zuhörern dauernd Versprechungen auf ein besseres Leben, auf Frieden, Sicherheit, Wohlstand und mehr Menschlichkeit machen, versprechen die ns. Reden und schon die Stimmung im Saal, die Musik, die Uniformen und der aggressive Tonfall letztlich nichts anders als Kampf und Krieg und Opfer und Tod. Und während die Kommunisten ihr Publikum zum politischen Kampf auffordern, um die eigenen Rechte und das eigene Glück zu realisieren, besteht bei den Nationalsozialisten das Glück bereits im Kampf selbst. Ein höheres liegt eigentlich nur im Tod. Die Begeisterung der Kommunisten besteht in der Hoffnung, die Begeisterung der Nationalsozialisten besteht in der Selbstaufgabe. Weshalb man den Geist des NS denn auch als „Ungeist“ bezeichnet. Es handelt sich in der Tat um eine genaue Umkehrung der bisherigen Sichtweise.
... gleichen sich


HEIL WIRD UNHEIL, UNHEIL HEIL

Man spricht von den „abrahamitischen“ Religionen (Judentum, Christentum, Islam) als einem Block. Es stimmt, daß alle drei von einer messianischen Hoffnung bestimmt sind, von der Hoffnung auf die Erlösung des Menschen von aller irdischen Qual. Auch die buddhistische Religion – obwohl nicht abrahamitisch – beinhaltet diese Hoffnung in Form einer Auflösung im Nirwana. Der Ägyptologe Jan Assmann hat diese Art Religion als „Heilsreligion“ bezeichnet. Sie ist gerichtet auf einen idealen Zustand, der ursprünglich dagewesen sein soll und irgendwann wiederkommt. Im Gegensatz dazu stehen die heidnischen Religionen, auch die hochentwickelte ägyptische Religion, welche nicht auf ein „besseres Leben“ orientiert sind. Sie verklären das Diesseits durch die Verehrung der Natur und ebenso ihrer Herrscher. Assmann nennt sie die „Herrschaftsreligionen“. Der Gegensatz zeigt sich beim Aufenthalt der Israeliten in Ägypten. Mit ihrer „Heilsreligion“ sind die Juden einerseits leicht zu besiegen, da sie sich nicht aufs Hier und Jetzt konzentrieren, andererseits sind sie überlegen, weil sie die Zukunft für sich zu haben glauben.

Das Göttliche ist das Wirkliche
Das Göttliche ist der Geist


Der Charakter der „Heilsreligion“ ist auch im Marxismus enthalten. Das Konzept wird hier zu seiner Höchstform geführt, weil die Herbeiführung des Idealzustand scheinbar wissenschaftlich erklärt und exakt vorausberechenbar ist. Nicht die personelle Stärke der Juden innerhalb der bolschewistischen Partei läßt den Eindruck entstehen, daß die Juden hinter dem Kommunismus steckten („jüdischer Bolschewismus“), sondern mehr noch die geistesgeschichtliche Parallele zur jüdischen Religion, die zumindest diffus verspürt wird. Verspürt wird auch die Feindschaft des NS zu jeder Heilslehre. Der Kommunismus vertritt die Jenseitsreligion, denn sein Reich soll erst kommen. Der NS vertritt die Diesseitsreligion (ursprünglich Naturreligion), indem er das sakralisiert, was ist.

Diesen entscheidenden Richtungswechsel vermitteln die NS-Massenveranstaltungen auf unterschwellige Weise. Während der Redner zunächst wie die Kommunisten Arbeitsplätze und Wohlstand sowie Frieden und Gerechtigkeit verspricht, wird die neue „unfrohe“ Botschaft durch einen Subtext auf die Zuschauer übertragen, und dieser Subtext macht schließlich die Stärke der Nazis gegenüber den Kommunisten aus. Diese predigen, was die Menschen seit zweitausend Jahren zu hören bekommen, ohne daß die Versprechungen je eingelöst wurden. Die Nazis versprechen nichts und fordern alles. Gerade das reißt zu Beifallsstürmen hin, wie sie in der Geschichte wahrscheinlich noch nie gehört wurden.
Kampfzeit, Zirkus Krone

Nachricht 2

Aus Australien erreicht uns die Klage über verhängnisvolle Folgen der Migration. Ein großer Teil der einheimischen Beuteltiere (neben dem populären Känguruh viele weitere putzige Arten) ist durch eingeschleppte Raubtiere (vor allem Katzen) bereits ausgerottet oder steht vor dem Aussterben. Neuerdings nehmen auch die Buschbrände zu. Auslöser sind lange Gräser vorzugsweise aus Afrika, die es früher in Australien nicht gegeben hat. Aus diesem Grund gibt es auch kein Tiere, die die Gräser abfressen könnten.

In der Natur hat sich in Jahrmillionen alles so entwickelt, daß es aufeinander abgestimmt ist. Man nennt das auch „Ökosystem“. Australien lag Jahrmillionen von den übrigen Kontinenten getrennt – bis Schiffe und Flugzeuge erfunden wurden. Seitdem ist auch dieses Land nicht mehr, was es einmal war.
Sollen sie leben?


Der Biologe David Bowman von der Universität Tasmania schlägt in der Zeitschrift „Nature“ vor, Elefanten im australischen Outback anzusiedeln. Das hohe Gras wäre für sie die ideale Nahrung. Allerdings sind Gräser ja auch Lebewesen und würden dabei notwendigerweise draufgehen.
Noch grausamer klingt der zweite Teil des Konzepts: Arbeitslose Ureinwohner („Aborigines“) sollen zu ihren Wurzeln zurückkehren und die Jagd auf Katzen, Ratten und anderes „unaustralische“ Getier aufnehmen.
Wenn man konsequent Tierrechte mit Menschenrechten gleichsetzt, würde der Vorschlag zum Beispiel bedeuten, daß deutsche Arbeitslose sich ihr Geld durch das Abschlachten von kriminellen Ausländern verdienen sollen.
Dürfen sie töten?

Donnerstag, 2. Februar 2012

Krieg 5

UNFREIHEIT TOTAL

Neben dem Wald schöpft Heidegger bei der Entstehung von „Sein und Zeit“ noch aus einer anderen Quelle. Gerade in diesen Jahren steht er in enger Verbindung mit dem Heidelberger Philosophen und Psychiater Karl Jaspers. Jaspers war nicht nur Arzt, sondern auch chronisch krank. Durch seine Mukoviszidose schwebte er täglich in der Gefahr des Erstickens. Von ihm konnte Heidegger aus erster Hand erfahren, wie auch die schwere Krankheit jene „Grenzsituation“ herbeiführt, die konstitutiv für die sogenannte Existenzphilosophie ist. Die Medizin als Spezialfall der Technik ist zwar nicht ganz machtlos, doch zur Gesundheit führt sie selten. Trotz des riesigen Medizinapparats sind heute mehr Menschen krank als jemals zuvor.
Auch das ist Krieg

In einer Gesellschaft, die keinen Krieg mehr aus eigener Erfahrung kennt, wird die Krankheit zum bevorzugten Modell für die existentielle Krise. Das Interesse an entsprechenden Erfahrungsberichten wächst. Der „Kampf gegen den Krebs“ ist teilweise zum Ersatz für den alten Heroismus geworden. Das geschieht wiederum nicht aus Sensationslust. Vielmehr verspüren die Menschen auch hier den Anhauch einer verborgenen Wahrheit.
Beispielhaft dafür ist eine Buchbesprechung aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Es handelt sich um den Erfahrungsbericht des Theaterregisseurs Christoph Schlingensief, der mit 47 Jahren an Krebs gestorben ist:
So sieht die Zukunft aus. Dabei ist die Gegenwart schon dunkel genug. Es ist ein schreckliches Buch, das der Regisseur und Energiekünstler Christoph Schlingensief da geschrieben hat, ein elendes, ein wahnsinnig trauriges, ein sehr, sehr schönes Buch. Der Krebs hat die Macht übernommen über ein Leben, das, zumindest in seinem öffentlichen Teil, immer vor allem aus Energie, völliger Freiheit, Plötzlichkeit, mitreißendem Enthusiasmus, Wut, immer neuen „Projekten“ und gigantischer Ausprobierfreude zu bestehen schien. Schlingensief als teilnehmender Regisseur auf der Bühne, das heißt ja immer elektrische Luft (und die Angst des unbeteiligten Zuschauers, dass man jeden Augenblick geohrfeigt werden könnte oder irgendwie sonst Teil des Dramas wird). Jetzt also: Unfreiheit total. Die Krankheit bestimmt, wie es weitergeht.“
„Unfreiheit total“: das ist genau die Herausforderung, die dem modernen Menschen fehlt. Und daher kommt es, daß diese Krebsgeschichten beim Publikum paradoxerweise ein Gefühl der Befreiung erzeugen. Sie stellen sich nämlich vor – zumindest momentweise kann das gelingen – wie sinnlos ihre eigene beständige Suche nach Glücksgefühlen und materieller Befriedigung ist, da bloß umgekehrt das Überwinden einer echten Bedrohung zum Glück führen kann. Kampf gegen den Krebs und Sieg über den Krebs - nur das erscheint plötzlich sinnvoll.
WELCH EINE FREUDE!
Schon Ende des 19. Jahrhunderts hat der russische Dichter Leo Tolstoi die Krankheit als Mittel der Läuterung geschildert. In seiner Erzählung „Der Tod des Iwan Iljitsch“ wird ein hoher Petersburger Beamter von einer schlimmen Krankheit befallen. Während er anfangs die Krankheit zu verdrängen sucht, findet in der Folge ein Wandlungsprozeß statt. Sein bisheriges Leben zeigt sich ihm in seiner ganzen Hohlheit und Oberflächlichkeit. Er muß sterben und erkennt, daß er nie wirklich gelebt hat, sondern sich nur – auch in den Amtsgeschäften – die Zeit vertrieben hat. Neben den zunehmenden Schmerzen erfaßt ihn eine entsetzliche Angst.
Iwan Iljitisch verliert den Bezug zu allem, was ihn vor der Krankheit interessiert hatte. Alles fällt ab, was bis dahin wichtig erschienen ist. Die individuelle Person verschwindet, und es bleibt nur noch die nackte Existenz. Statt einer Zukunftsplanung reduziert sich alles auf die nächste Minuten. Nicht nur ist der Betroffene von allen Menschen verlassen, sondern die gesamte Welt, die ihn normalerweise umgibt, schwindet dahin. Zu der Angst gesellt wieder die Langeweile:
Was aber am allerschlimmsten dabei war – die Krankheit zog ihn nicht etwa deswegen ab, damit er etwas anderes tue, sondern nur, damit er sie betrachte, ihr gerade in die Augen schaue, sie ansehe und sich dabei, ohne etwas tun zu können, unbeschreiblich quäle. (…) Dann ging er wieder in sein Kabinett, legte sich nieder und war aufs neue allein mit ihr. Auge in Auge mit ihr und wußte doch nicht, was er mit ihr beginnen sollte. Immer nur sie anschauen und erstarren.
Aug in Aug mit dem Feind kann ihn nichts kann ihn mehr ablenken, nichts zerstreuen, nichts beschäftigen. Es gibt nur dieses Gegenüber, das unbekannt, ungreifbar, unheimlich und doch so nahe ist.
Ferdinand Hodler dokumentiert


Es ist eine ähnliche Situation wie in den von Jünger beschriebenen Schützengräben. Es ist auch die Situation des Verhungernden oder Erfrierenden in der Wildnis. Da ist etwas, das alles, was bisher galt, zunichte macht und auslöscht. Ich bin nichts mehr als die Wahrnehmung und Empfindung dieses Anderen. Was sich innerhalb der Zivilisation zum Absolutum spreizt, die Person, das Individuum, verschwinden ganz.
Tolstoi war bekanntlich sehr religiös. Er operiert aber nie mit theologischen Systemen und kirchlichen Institutionen. So findet der Kranke in seiner überkommenen, zuvor gedankenlos praktizierten Religion keinerlei Trost. Sie fällt ebenso ins Nichts zurück wie alles andere. Erst ganz zum Schluß der Erzählung ereignet sich etwas, das einer Rettung ähnelt. Nur wenige Stunden vor seinem Tod beginnt Iwan Iljitsch zu begreifen, daß das, was ihm in der Krankheit begegnet ist, und was ihn zugrunde richtete, seine letzte Chance war, den Sinn des Daseins zu finden, und daß er im Tod das Leben gewonnen hat. Einmal fragt er sich,„ob es möglich wäre, daß sie allein (die Krankheit) die Wahrheit sei.“ Doch dann:
Warum diese Qualen? Und die Stimme antwortete: Weil das so ist und aus keinem besonderen Anlaß. Außer diesem war weiter nichts da.“
Es zeigt sich, daß die Geschichte letzten Endes genauso sinnlos und grausam ist wie die Natur. Die Geschichte und die Technik sind nicht die Erlösung von der Natur, wie es die Fortschrittsgläubigen hoffen, sondern sie wiederholen nur den nackten Existenzkampf auf einer anderen Ebene. Zugleich kommt aber auch die Erkenntnis:
Es ist nicht das Wahre – all das, wofür ich gelebt habe und lebe, ist Lüge und Betrug; Lüge und Betrug haben Leben und Tod vor mir verborgen gehalten.“
In dieser Erkenntnis liegt die Rettung. Sie kehrt alles um:
An Stelle des Todes war ein Licht da. So ist das also! sagte er plötzlich laut. Welch eine Freude!
Aus dieser christlichen Erleuchtung, die Tolstoi aktualisieren will, entsteht einige Jahrzehnte später bei Jünger, Schmitt und Heidegger ein „heroischen Realismus“. Es ist eine neue Art Religiosität, die nicht mehr auf Erlösung hofft, sondern das Leben selber in seiner ganzen Härte bejaht und feiert.
Arno Breker: Der Kampf


Krieg 4

DIE HERAUS-FORDERUNG

Aus gesundheitlichen Gründen hat Martin Heidegger nicht am Weltkrieg teilgenommen. Trotzdem gründet sein Werk auf einer ähnlichen Erfahrung. Woher bezieht er seine existentiellen Wahrheiten?
Mitte der 30er Jahre erhält Heidegger einen Ruf in die Hauptstadt Berlin. Für ihn wäre es ein Karrieresprung gewesen, trotzdem lehnt er ab. In dem Beitrag „Warum wir in der Provinz bleiben“ begründet er diese Ablehnung damit, daß sein Denken an den Schwarzwald als Ursprung gebunden sei. Damit ist nicht etwa gemeint, daß hier à la „Schwarzwaldklinik“ die heile Welt zu finden sei. Die Heimat hielt aber für ihn die Erfahrungen bereit, die eine theoretische Erkenntnis erst fundieren. Konkret bezieht sich das auf die regelmäßigen Aufenthalte in der Hütte, das Wandern und Skilaufen im Wald.
Nun klingt das für jemand, der modernen Wintersport gewohnt ist, nicht gerade existentiell bedrohlich. Obwohl weiterhin Unfälle in den Bergen passieren, auch dort, wo man bereits alles touristisch erschlossen wähnte. Wie weit das „innere Erlebnis“ eines Stadtmenschen im Gebirge gehen kann, schildert Thomas Mann in seinem Roman „Der Zauberberg“ (1924). Was der Philosoph gemeint haben mag, nimmt in dem berühmten „Schneekapitel“ Gestalt an.
Der junge Ingenieur Hans Castorp ist zunächst als Besucher in einem Sanatorium, das im Hochgebirge liegt. Nach einer Weile sagt ihm das bequeme Leben in dem komfortablen Gebäude jedoch nicht mehr zu, und er leiht sich Skier, um einen Ausflug in die Berge zu machen. Schon bedient er sich also einer einfachen Technik, um der Natur Herr zu werden. Das Skilaufen in der damaligen Form wird detailliert beschrieben. Doch nützt es Hans nichts. Schon nach kurzer Zeit verliert er im dichten Schneetreiben die Orientierung. Nur eine knappe Stunde vom Haus entfernt, beginnt plötzlich eine weiße Wildnis, in der er unterzugehen droht:
Es war schön im winterlichen Gebirge, - nicht schön auf gelinde und freundliche Weise, sondern so, wie die Nordseewildnis schön ist bei starkem West, - zwar ohne Donnerlärm, sondern in Totenstille, doch ganz verwandte Ehrfurchtsgefühle weckend.“
Es war das Urschweigen, das Hans Castorp belauschte, wenn er so stand, auf seinen Stock gestützt, den Kopf zur Seite geneigt, mit offenem Munde; und still und unablässig schneite es weiter darin, ruhig hinsinkend, ohne einen Laut.
Nein, diese Welt in ihrem bodenlosen Schweigen (…) Gefühle des still bedrohlich Elementaren, des nicht einmal Feindseligen, vielmehr des Gleichgültig-Tödlichen waren es, die von ihr ausgingen.
Wir können jetzt schon besser verstehen, was Heidegger im Schwarzwald suchte: die Ehrfurcht, das Schweigen, das Elementare, vielleicht auch das „Tödlich-Gleichgültige“. Das ist keine Heimatidylle, sondern die Natur selbst, die im zivilisierten Leben nur als Ausnahme und nur, wenn die Technik versagt, noch in ihrer Größe zu erleben ist. Thomas Mann spricht von einer „frommen Erschütterung“, einem „heimlich-heiligen Schrecken“ sowie von der „begeisternden Berührung mit der tödlichen Natur“. Schließlich kommt das Wort, das solche seltenen Naturerlebnisse mit den Kriegserlebnissen, der entfesselten Technik, verbindet:
Was aber in Hans Castorps Seele vorging, war nur mit einem Wort zu bezeichnen: Herausforderung.
Reinhold Messmer am Nanga Parbat


Die ungeahnte Herausforderung erzeugt ein Gefühl der Lebendigkeit, das der Zivilisationsmensch fast vergessen hatte. Er spürt „das ist das Leben“, nämlich an der Grenze zum Tod zu stehen, und dieses Leben war für unsere Vorfahren einst selbstverständlich. Wie das Tier befanden sie sich ständig im Kampf mit widrigen Umständen. Für dieses Leben sind auch wir Menschen genetisch angelegt. Wir leben jedoch in einer Umkehrsituation, wo das Normale längst nicht mehr das Natürliche und das Natürliche das Extreme und Gefürchtete ist. Werden wir aber einmal in dieses Natürliche hineingeschleudert, dann entsteht eine Begeisterung, die man sonst allenfalls unter Drogen oder in Psychosen erlebt.
Nihilismus unbekannt

Nicht umsonst bezieht sich Heidegger immer wieder auf Friedrich Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Und umgekehrt gibt es Rettung nur in der Gefahr. So meldet sich Hans Castorp, der weder durch das Hochgebirge noch durch die Tuberkulose nahe genug an den Abgrund geraten ist, am Schluß des Romans freiwillig in der Krieg.

Trotz seiner Abbitte für die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ und sein Eintreten für die Weimarer Demokratie gehört auch Thomas Mann zu denjenigen Deutschen, die das Heil nicht im weiteren Fortschritt, sondern im Ausbruch aus dem Fortschrittsdenken suchen: Heil durch das, was die anderen Unheil nennen. Auch kulturgeschichtlich wird dem Leser dies vorgeführt in dem Traum, den Hans während seines gefährlichen Schlafes in der weißen Wildnis träumt. Er handelt von einem Land, das hinter dem vorbildhaften klassischen Griechenland liegt, und wo sich entsetzliche Rituale abspielen: Zwei Hexen verzehren das Fleisch eines Säuglings. Kannibalismus – der Dichter macht klar, daß in solcher Barbarei nicht das Ende, sondern die geheime Quelle aller Kultur liegt.
KANNIBALISMUS
Wie modern und realistisch der Gedanke ist, zeigt sich etwa am legendär gewordenen Absturz eines Passagierflugzeuges 1972 in den Anden. In der schneebedeckten Bergwelt blieben die eben noch komfortabel von Stewardessen versorgten Menschen über zwei Monate gefangen. Um zu überleben, aßen sie das Fleisch der beim Absturz getöteten Mitpassagiere. Nach der überraschenden Rettung machte die Geschichte in der Presse als „Gruselstory“ weltweit die Runde. Warum aber hören die Leute solche Geschichten so gern? Nicht nur aus „Sensationslust“, sondern weil sie dahinter eine verborgene, verschwiegene Wahrheit wittern. So mag es einem im Zeitalter der Flughäfen und Hotelketten zwar vorkommen, als ob es bereits egal sei, auf welchem Platz der Erde man sich gerade befindet. Spätestens nach einem „verunglückten Trip“ weiß man aber, daß es zumindest einen Unterschied immer noch gibt: nämlich innerhalb und außerhalb der Zivilisation.

Hunger ist der beste Koch

Mittwoch, 1. Februar 2012

Krieg 3

Wie Hitler so ging es auch vielen seiner späteren Anhänger und Mitstreiter. Sie hatten im Krieg eine Art „zweite Geburt“ erlebt und suchten dazu das passende Evangelium. Da gibt es als Erfahrungsbericht Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ (1920) und den biographischen Teil von „Mein Kampf“ (1925). Theoretisch behandeln das gleiche Motiv Carl Schmitt im „Begriff des Politischen“ (1927) und Martin Heidegger in seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ (1927).

JÜNGER
Voraussetzung für die übergeordnete = epochale Bedeutung des Kriegserlebnisses ist die Unabhängigkeit von politischen Motiven im engeren Sinne. Die existentielle Erfahrung soll ja eine politische Auffassung erst begründen, also muß sie fundamentaler (wesentlicher, „eigentlicher“) sein als Politik und Militär. Worum ging es im 1. Weltkrieg? Es ging noch einmal (zum letzten Mal) um die Durchsetzung nationaler Interessen. Worin bestanden diese Interessen? In einer höheren Beschleunigung des industriellen Fortschritts gegenüber dem Tempo anderer Nationen. Darum ging es aber den „Stahlgewittern“ nicht. Das zeigt auch ein anderes Buch von Ernst Jünger, „Afrikanische Spiele“, worin er seine Erlebnisse in der Fremdenlegion beschreibt. Dem Gymnasiasten, der heimlich das Elternhaus verläßt und nach Marseille fährt, um sich bei der Legion zu melden, geht es um den Krieg als solches, um den Kampf und um die Grenzsituation. Vor dem Tod hat er weniger Angst als vor dem, was ihm zu Hause droht.

Wovon die Vorkriegsgenerationen (von 1871 bis 1914) insgesamt bedroht sind, bezeichnet Friedrich Nietzsche mit dem Wort „Nihilismus“. Seitdem hat dieser Zustand auch verschiedene andere Benennungen bekommen. So spricht Peter Sloterdjik vom „Weltinnenraum“, in den sich die Erde dank der Globalisierung verwandelt habe. Obwohl der Terminus nicht negativ gemeint ist, handelt es sich um das gleiche Phänomen. Es erscheint so, als ob alles bereits erforscht, alles entdeckt, alles bekannt und beherrschbar sei und nichts mehr den Menschen wirklich herausfordern könne. Überall begegnet man nur dem, wovon man selbst bestimmt ist, dem menschlichen Maß. Es gibt nichts „Großes“ mehr, nichts „Fremdes“, nichts „Anderes“. Das Gegenüber des Menschen fehlt. Ursache dieser nihilistischen Stimmung ist die scheinbar vollkommene Beherrschung der Natur und der Erde durch die Technik. Die Technik selbst wird ausschließlich als Instrument des Menschen gesehen, als sein verlängerter Arm. Der Ausdruck „Gott ist tot“ bezeichnet weniger den Verlust des naiven Glaubens (der liegt historisch bereits zurück), sondern die Eingeschlossenheit des Menschen mit sich selbst, das „Fliegenglas“, wie Wittgenstein es nennen sollte.

„Freie Luft“ sucht Jünger bei der Legion und im Weltkrieg. Schon vorher hatte die bürgerliche Jugend sie auf Fahrten in die Wälder gesucht. Diese „Jugendbewegung“ richtete sich vor allem gegen die sogenannten höheren Ideale, die längst zu Heuchelei verkommen waren. Auch das gesamte europäische Bildungsgut wurde fragwürdig. War es nicht letztlich nur eine Ummäntelung des Profits und des Komforts? Der Reiz des Krieges besteht nicht in glorreichen Taten. Meist findet sich dazu gar keine Gelegenheit:

Nach kurzem Aufenthalt beim Regiment hatten wir gründlich die Illusionen verloren, mit denen wir ausgezogen waren. Statt der erhofften Gefahren hatten wir Schmutz, Arbeit und schlaflose Nächte vorgefunden, deren Bezwingung ein uns wenig liegendes Heldentum erforderte. Schlimmer noch war die Langeweile, die für den Soldaten entnervender als die Nähe der Todes ist.“ (In Stahlgewittern)
Doch auch die Langeweile in ihrer äußersten Form führt von der leeren Geschäftigkeit weg, in der der Nihilismus wirkt. Angst und Langeweile führen, wie Heidegger ausführen sollte, zum „Eigentlichen“.

SCHMITT
Die Untersuchung über den „Begriff des Politischen“ stellt den „Feind“ als Herausforderung dar, die den modernen Menschen aus seiner falschen Sekurität herausholt. Das Politische nach Schmitt hat mit Politik im traditionellen Sinne genauso wenig zu tun wie die „Stahlgewitter“ mit dem Krieg als „Fortsetzung der Politik“. Wenn Schmitt behauptet:

Der politische Gegensatz ist der intensivste und äußerste Gegensatz und jede konkrete Gegensätzlichkeit ist umso politischer, je mehr sie sich dem äußerten Punkte, der Freund-Feind-Bestimmung, nähert“,
dann bedeutet es, daß er die Politik zum höchsten und damit zu einem quasi-theologischen Kriterium erklärt. Gleichzeitig definiert er aber, was Politik ist, wiederum damit, daß es sich um den äußersten Gegensatz handele. Denn historisch soll das Wesen des Politischen nicht bestimmt sein. Die Schrift begeht einen klassischen Zirkelschluß, der jedoch Interesse erweckt, weil es darin um das Existentielle geht. Um den Menschen nicht als Subjekt oder Person, sondern als Lebewesen – als biologisches Wesen, auch wenn die Autoren zu vornehm sind, das offen auszusprechen. Deshalb sind solche Zeugnisse nicht nur „moderner“ als das nationale Bekenntnis, sondern auch moderner als jede linke Überzeugung. Sie beziehen die Vereinzelung und Anonymität in der Massengesellschaft mit ein. Sie gehen vom Nihilismus bereits aus.

HEIDEGGER
Während Jünger und Schmitt bloß Splitter der epochalen Problematik bieten, versucht Martin Heidegger, ein Gesamtbild des Zivilisationsmenschen in seiner Notlage zu zeichnen. Im Zentrum steht auch hier der entwurzelte Einzelne. Durch die Zivilisation ist er nicht nur gesichert, sondern auch beschäftigt („geschäftig“). Die Realität begegnet ihm nur als Vielzahl von Gegenständen, die ihn alle miteinander gleichgültig lassen. Die Spannung, die von dem Buch ausgeht, kommt dadurch zustande, daß der einzelne eine Erfahrung macht, die ihn aus seiner Gleichgültigkeit herausreißt. Welche Erfahrung das konkret ist, läßt Heidegger offen. Vom Krieg spricht er nicht. Trotzdem ist das, was er in seinen berühmten „Daseinsanalysen“ beschreibt das gleiche, was auch Ernst Jünger und Carl Schmitt meinen. Und was Adolf Hitler beschwört, wenn er seine Zuhörer „erwecken“ will. Bei Heidegger erhält die „existenzielle Erfahrung“ ihren höchsten Abstraktionsgrad. Genannt wird nicht der Gegenstand der Erfahrung, weil die Art der Begegnung keine Subjekt-Objekt-Beziehung mehr ist. Genannt wird nur die „Stimmung“, in die der einzelne durch die Begegnung gerät. Sie wird bezeichnet mit dem Wort „Angst“. Angst ist von der Furcht unterschieden dadurch, daß sich der Gegenstand der Angst nicht mehr als Gegenstand fassen läßt. Die Sprache versagt, und die Einsamkeit wird absolut.

Auch bei Heidegger ist die „Grenzerfahrung“ eindeutig positiv aufzufassen. Erst der Kontrollverlust und das totale Ausgeliefertsein des einzelnen an etwas Übermächtiges enthält die Möglichkeit zu einem Neuanfang. „In der hellen Nacht des Nichts der Angst ersteht erst die ursprüngliche Offenheit des Seienden: daß es Seiendes ist und nicht nichts“, formuliert Heidegger Ende der 20er Jahre. Daß „nicht nichts ist“, bedeutet: daß der Mensch nicht allein ist und nicht in allem wieder nur sich selbst findet, sondern daß er sich an etwas, das anders ist, zu bewähren hat. Im Grunde handelt es sich um eine religiöse Erfahrung, die keine traditionelle religiöse Form mehr annimmt.
Martin Heidegger 1933/34

In allen genannten Schriften geht es um einen Aufbruch, Ausbruch, Durchbruch und Zusammenbruch der bisherigen (zivilisierten) Welt. Im genauen Gegensatz dazu versprechen die Marxisten zum gleichen Zeitpunkt (nach der Oktoberrevolution 1917) die Vollendung der bisherigen Geschichte durch die letzte vollkommene Stufe der Entwicklung, den Kommunismus. Während die Marxisten die rein menschliche Welt herbeisehnen und bewerkstelligen wollen, sind deren Gegner darauf aus, diese „menschliche Welt“ zu verhindern, weil sie ihnen als das schlimmste Gefängnis erscheint. Die Marxisten knüpfen an den bürgerlichen Fortschrittsapparat an. Die Gegner knüpfen an die Risse in diesem Fortschrittsapparat an.