Wie hatte es aber zu der katastrophalen Unkenntnis kommen können? Wer
selber aus dieser Generation stammt, wird sich noch erinnern: Man begann damals
in Klasse 5 mit der Steinzeit und arbeitete sich chronologisch vor, so daß Klasse
7 und 8 gerade erst bei Aufklärung und Merkantilismus angelangt waren. Was
sollte man da über den Nationalsozialismus wissen? Zumal noch die Haltung
verbreitet war, je weniger man von dieser Zeit höre, desto besser sei man gegen
jedwede Sympathie gefeit. Ein Standpunkt, der nicht ganz abwegig ist. Ähnlich
funktionierte in früheren Zeiten die Sexualerziehung: Was man nicht kennt, wird
man auch nicht praktizieren. Wir hatten sogar eine Klassenkameradin, die sich
grundsätzlich weigerte, den Namen „Hitler“ auszusprechen. Sonst könnte er sich
womöglich angesprochen fühlen und plötzlich wieder auftauchen. Aus dem gleichen
Grunde wurde der Teufel von besonders Frommen als „Leibhaftiger“ oder
„Gottseibeiuns“ bezeichnet.
Einer der befragten Schüler, der 12-jährige Detlev
aus Mannheim, fällt insofern aus dem Rahmen, als er ein echt kämpferisches
antifaschistisches Bewußtsein an den Tag legt. Nach einigen sachlichen
Informationen zum Thema Hitler schließt er seinen Aufsatz mit den Worten: „Und das Schwein fuhr einen Mercedes!“
Mercedes aus den 30er Jahren |
Damit hat Detlev den Nagel auf den Kopf getroffen:
Was immer Hitler für ideologische Vorstellungen gehabt haben mag, und in welche
politischen Aktionen er verwickelt war, letzten Endes unterscheidet sich dieser
Mann nicht von jedem anderen Bonzen, ob in der DDR oder der Bundesrepublik. Ob
Strauß, Mao oder Breschnew, Nixon, Mitterand oder Honecker – sie alle und ihre
Staatssekretäre und Stellvertreter fahren in dicken Autos umher und führen ein
angenehmes Leben, während der „kleine Mann“ grundsätzlich zu kurz kommt. Das
wahre Verbrechen der Politiker sind nicht Kriege, Konzentrationslager, Mauerschützen
oder Atomkraftwerke, sondern die ständige Bereicherung auf Kosten der Bürger,
der Wähler, der Masse, des Volkes - der Armen.
Diese Perspektive des kleinen Moritz ist
unausrottbar. Es gab sie im alten Rom, in der französischen Revolution, in der
„Bild“-Zeitung, und es wird sie immer geben. Aus dem Jahr 1930 stammt ein
Flugblatt der Berliner SA, in dem es empört heißt: „Wir proletarischen Elemente
der Bewegung sind ja soo zufrieden! Wir schieben so gern Kohldampf, damit es
unseren lieben Führern mit ihren zwei- bis fünftausend Mark Monatseinkommen
recht wohl ergehe. Hocherfreut waren wir auch, als wir hörten, daß sich unser
Adolf Hitler auf der Automobilausstellung einen neuen großen Mercedeswagen für
Rm 40 000 gekauft hat.“
Wer das weiß, weiß schon eine ganze Menge: Die
Nazis sind auch keine Engel, sondern Schweine wie wir alle. Das hat doch etwas
Beruhigendes.
Das Schwein in seinen geliebten Bergen |
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