In den Erinnerungen des letzten
Kaisers werden die Welt des alten China und die „Verbotene Stadt“ mit ihren
Kunstschätzen sowie die traditionelle Erziehung des Thronerben eindrucksvoll
beschrieben. Dabei fällt eines auf: Der Ex-Kaiser wirkt nicht nur sympathisch
und intelligent, er wirkt vor allem europäisch. Keiner seiner Gedanken erscheint
fremdartig. Man muß sich beim Lesen immer wieder vor Augen führen, daß der, der
da schreibt, die Schlitzaugen und das gelbe Gesicht hat, weil man sich sonst
unwillkürlich jemand vorstellt, der so aussieht wie wir.
Die Rassenunterschiede sind, was
die Mentalität betrifft (mens = Geist) wahrscheinlich nur gering. Man darf
nicht annehmen, daß Angehörige anderer Rassen ein völlig anderes Gefühlsleben
haben und Gedanken, die für uns gar nicht nachvollziehbar sind. Daß aber kleine
Unterschiede große Folgen haben können, sieht am Beispiel von Mensch und Affe.
Da beträgt der genetische Unterschied nur ein bis zwei Prozent.
Während Pu Yi uns schnell vertraut
wird, wirkt die chinesische Kultur völlig fremdartig. Im Umkreis des Kaisers
spielen die Farbe Gelb und das Motiv des Drachens eine zentrale Rolle. Das
Schönschreiben (Kalligraphie) wird ernst genommen wie bei uns chemische oder
physikalische Formeln. Insgesamt fehlt ihnen die Fortschrittsdynamik, was heute
wieder anziehend wirkt. Über tausend Jahre bleibt alles beim Alten. Diesen
Traditionalismus schätzt der Chinese.
Aber nur solange, bis er in
Berührung mit der europäischen Kultur kommt. Bei Pu Yi geschieht es in der
Gestalt seines Englischlehrers. Von allem, was Mr Johnston sagt, ist der junge
Kaiser begeistert. Bald will er auch ein Telefon, ein Auto und europäische
Kleidung. Obwohl chinesische Gelehrte und Würdenträger ihn umgeben, gilt alles
nichts mehr, sobald ein durchschnittlicher Vertreter Europas auftaucht. Das
alte China verwandelt sich in ein schönes Museum, das man gern erhalten möchte,
doch das Leben wird von modernen Apparaten und modernen Gedanken bestimmt:
„In
diesen Jahren war ich noch viel mehr zu der Überzeugung gelangt, daß alles
Ausländische gut und alles Chinesische – mit Ausnahme des Kaisertums, versteht
sich – schlecht sei. Der Anblick eines Speermint Kaugummis oder einer
Aspirintablette von Bayer genügte, um mich über die hoffnungslose
Tölpelhaftigkeit der Chinesen im Vergleich zur Superintelligenz der Ausländer
seufzen zu lassen.“
Wieder zeigt sich, daß der
Unterschied zwischen Chinesen und Europäern so groß nicht ist. Beide haben die
gleichen Wünsche nach Schnelligkeit, Bequemlichkeit und nach Neuigkeiten. Daher
braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Asiaten sich ehrgeizig und erfolgreich
die europäische Welt aneignen. Auch nicht darüber, daß sie neue Erfindungen
machen und Dinge weiterentwickeln. Denn sie haben gelernt, was
Weiterentwicklung bedeutet, und welche Vorteile sie bringt.
Die Frage bleibt jedoch, ob eine
spezifische Fähigkeit oder ein besonderer Drang dazu gehört haben, um die
historische Dynamik zu entfesseln. Ein WILLE ZUR MACHT, der sich von der
chinesischen MACHTENTFALTUNG weniger quantitativ als qualitativ unterscheidet.
Allerdings handelt es sich hier nur
noch um eine historische Frage. Den spezifisch weißen Willen, wenn es ihn gibt,
brauchen wir vielleicht gar nicht mehr. Im Gegenteil, für die Naturerhaltung
wäre er sogar verhängnisvoll. Den Ausdruck „CHINESISCH“ gebrauchte Nietzsche
übrigens für alles, was starr und dabei kompliziert ist. Im Moment sieht es
tatsächlich so aus, als ob das unsere Zukunft wäre.
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