Montag, 11. Juni 2012

Noltes letztes Wort


Seit seinem Artikel vom 6. Juni 1986 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ist Ernst Nolte gezwungen, sich in nationalen Kreisen zu bewegen. Der „Historikerstreit“ hatte begonnen, und die Etablierten fingen an, den Professor und Autor von „Der Faschismus in seiner Epoche“ auszugrenzen. Das ist inzwischen nicht besser geworden, denn Nolte trat mit den Jahren keineswegs zurückhaltender und angepaßter auf. Den Höhe- und Schlußpunkt dieser Entwicklung bildet sein Buch „Späte Reflexionen“ (2012). In den gewagten Aphorismus wird sogar nach der „Philosophie von Auschwitz“ gefragt. Nolte findet sie im „Widerstand gegen die Transzendenz“. Wenn man weiß, daß unter „Transzendenz“ der Jenseitsglaube und das daraus hervorgehende moderne Fortschrittsdenken zu verstehen ist, kann einem bei dieser Definition schon Angst und Bange werden. Denn die Kritik am Fortschritt und dessen katastrophalen Folgen gehört inzwischen zum Allgemeingut. Wenn die „Philosophie von Auschwitz“ also der Widerstand gegen den sogenannten Fortschritt sein soll, müßten heute den Tätern und nicht den Opfern Denkmäler gebaut werden.
Ernst Nolte


Nolte ist inzwischen 89 Jahre alt. Ihm kann nichts mehr passieren. Sein nationales Publikum ist da weit weniger mutig. Immerhin: die Zeitschrift „hier & jetzt“ tut, was sonst kaum keiner wagt. Sie bringt eine ausführliche Besprechung der „Späten Reflexionen“, die auch den Historikerstreit noch einmal aufgreift. Man merkt allerdings, daß es den meisten nationalen Lesern nie klar geworden ist, was Nolte eigentlich thematisiert. So behauptet der Rezensent Arne Schimmer (NPD-Abgeordneter im Sächsischen Landtag), daß man den „Historikerstreit hätte vermeiden können“, wenn man anerkannt hätte, daß es in Deutschland zwei Gruppen von Historikern gibt, die mit einer „konventionellen nationalen Identität“ und andere, die sich einem „postnationalen Kosmopolitismus“ verpflichtet sehen. Was soll das heißen? Ist Ernst Nolte etwa ein Historiker mit einer „konventionellen nationalen Identität“? Und besteht darin sein Hauptinteresse?
Gerade Nolte hat doch den Begriff des „europäischen Bürgerkriegs“ für die Zeit nach 1917/18 eingeführt und damit festgestellt, daß spätestens von diesem Zeitpunkt an nicht mehr die nationalen, sondern die ideologischen Gegensätze entscheidend sind. Inzwischen sind fast 100 Jahre vergangen und aus dem „europäischen Bürgerkrieg“ ist ein „Weltbürgerkrieg“ geworden, in dem der Islamismus als „dritte radikale Widerstandsbewegung“ aufgetreten ist. Davon handelt Noltes vorletztes Buch.
Ein intaktes oder weniger intaktes Nationalbewußtsein spielt heute kaum noch eine Rolle. Denn selbständig handeln können die Nationalstaaten sowieso nicht mehr. Ob also die Bundesrepublik Deutschland weiterhin an Auschwitz knabbert oder sich von diesem Trauma freigemacht hat, interessiert nur noch die „Holocaust-Industrie“, aber nicht die Weltpolitik. Nur wer die Bundesrepublik maßlos überschätzt, kann glauben, daß dieses Thema immer wieder aufgebracht werde, um „Deutschland niederzuhalten“. Deutschland hat seit 1945 sowieso politisch nichts mehr zu melden. Es ist nur noch ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort.
Die Vorstellung, die Arne Schimmer vorbringt, daß man mit einem intakten, vom Auschwitz-Trauma befreiten Nationalbewußtsein den Staat zusammenhalten könne über „Wohlfahrt und Sozialtransfer hinaus“, ist eine komplette Illusion. Was man schon daran sieht, daß andere Staaten ohne Auschwitz-Trauma genauso an ihren wirtschaftlichen Problemen zerbrechen.
Wenn man Nolte nicht nur benutzen würde, um die eigene nationale Identität zu pflegen, könnte man sich bei ihm über die Grundproblematik moderner Gesellschaften informieren: Das versprochene Paradies auf Erden blieb aus. Der Versuch, es in Rußland zu errichten, schlug fehl und führte in den Terror (Gulag). Diese furchtbare Enttäuschung, so meint Nolte, ist die unverzichtbare Voraussetzung, um den nationalsozialistischen Terror zu verstehen. Der „Rückfall in die Barbarei“, die man dem Nationalsozialismus vorwirft, findet bereits in dem Augenblick statt, als die Wohltäter der Menschheit – die Marxisten als Erben des Christentums und des Humanismus – gezwungen sind, zur Gewalt zu greifen, damit ihre Herrschaft nicht zusammenbricht. Damit gelangt die Geschichte an einen Wendepunkt, dem dann die Nationalsozialisten Rechnung tragen.
Nolte hat also keineswegs bestritten, daß der Holocaust ein einzigartiges, dauerhaft wirksames Ereignis ist – nur muß man ihn im Kontext der europäischen Geschichte sehen. Einzigartig und bleibend ist das gesamte Ereignis, nämlich die historische Wende – eine brutale Version von Heideggers „Kehre“ – weg vom modernen Fortschrittsmodell.
Einen nationalen Politiker interessiert das weniger. Er muß – als nationaler Politiker – so tun, als könne die einzelne Nation per Wahlentscheidung ihre Zukunft in sichere Bahnen lenken. Das kann sie nicht, und das Volk scheint es instinktiv zu wissen. Es macht sich erst gar nicht die Mühe, eine nationale Partei anzukreuzen.
Der Blinde führt die Blinden
 (Walter Heckmann 1991) 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen