Seit seinem Artikel vom 6. Juni
1986 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ist Ernst Nolte gezwungen, sich
in nationalen Kreisen zu bewegen. Der „Historikerstreit“ hatte begonnen, und
die Etablierten fingen an, den Professor und Autor von „Der Faschismus in
seiner Epoche“ auszugrenzen. Das ist inzwischen nicht besser geworden, denn
Nolte trat mit den Jahren keineswegs zurückhaltender und angepaßter auf. Den
Höhe- und Schlußpunkt dieser Entwicklung bildet sein Buch „Späte Reflexionen“
(2012). In den gewagten Aphorismus wird sogar nach der „Philosophie von
Auschwitz“ gefragt. Nolte findet sie im „Widerstand gegen die Transzendenz“.
Wenn man weiß, daß unter „Transzendenz“ der Jenseitsglaube und das daraus
hervorgehende moderne Fortschrittsdenken zu verstehen ist, kann einem bei
dieser Definition schon Angst und Bange werden. Denn die Kritik am Fortschritt
und dessen katastrophalen Folgen gehört inzwischen zum Allgemeingut. Wenn die „Philosophie
von Auschwitz“ also der Widerstand gegen den sogenannten Fortschritt sein soll,
müßten heute den Tätern und nicht den Opfern Denkmäler gebaut werden.
Ernst Nolte |
Nolte ist inzwischen 89 Jahre alt.
Ihm kann nichts mehr passieren. Sein nationales Publikum ist da weit weniger
mutig. Immerhin: die Zeitschrift „hier & jetzt“ tut, was sonst kaum keiner
wagt. Sie bringt eine ausführliche Besprechung der „Späten Reflexionen“, die
auch den Historikerstreit noch einmal aufgreift. Man merkt allerdings, daß es
den meisten nationalen Lesern nie klar geworden ist, was Nolte eigentlich
thematisiert. So behauptet der Rezensent Arne Schimmer (NPD-Abgeordneter im
Sächsischen Landtag), daß man den „Historikerstreit hätte vermeiden können“,
wenn man anerkannt hätte, daß es in Deutschland zwei Gruppen von Historikern
gibt, die mit einer „konventionellen nationalen Identität“ und andere, die sich
einem „postnationalen Kosmopolitismus“ verpflichtet sehen. Was soll das heißen?
Ist Ernst Nolte etwa ein Historiker mit einer „konventionellen nationalen
Identität“? Und besteht darin sein Hauptinteresse?
Gerade Nolte hat doch den Begriff
des „europäischen Bürgerkriegs“ für die Zeit nach 1917/18 eingeführt und damit
festgestellt, daß spätestens von diesem Zeitpunkt an nicht mehr die nationalen,
sondern die ideologischen Gegensätze entscheidend sind. Inzwischen sind fast
100 Jahre vergangen und aus dem „europäischen Bürgerkrieg“ ist ein
„Weltbürgerkrieg“ geworden, in dem der Islamismus als „dritte radikale
Widerstandsbewegung“ aufgetreten ist. Davon handelt Noltes vorletztes Buch.
Ein intaktes oder weniger intaktes
Nationalbewußtsein spielt heute kaum noch eine Rolle. Denn selbständig handeln
können die Nationalstaaten sowieso nicht mehr. Ob also die Bundesrepublik
Deutschland weiterhin an Auschwitz knabbert oder sich von diesem Trauma
freigemacht hat, interessiert nur noch die „Holocaust-Industrie“, aber nicht
die Weltpolitik. Nur wer die Bundesrepublik maßlos überschätzt, kann glauben,
daß dieses Thema immer wieder aufgebracht werde, um „Deutschland
niederzuhalten“. Deutschland hat seit 1945 sowieso politisch nichts mehr zu
melden. Es ist nur noch ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort.
Die Vorstellung, die Arne Schimmer
vorbringt, daß man mit einem intakten, vom Auschwitz-Trauma befreiten
Nationalbewußtsein den Staat zusammenhalten könne über „Wohlfahrt und
Sozialtransfer hinaus“, ist eine komplette Illusion. Was man schon daran sieht,
daß andere Staaten ohne Auschwitz-Trauma genauso an ihren wirtschaftlichen
Problemen zerbrechen.
Wenn man Nolte nicht nur benutzen
würde, um die eigene nationale Identität zu pflegen, könnte man sich bei ihm über
die Grundproblematik moderner Gesellschaften informieren: Das
versprochene Paradies auf Erden blieb aus. Der Versuch, es in Rußland zu
errichten, schlug fehl und führte in den Terror (Gulag). Diese furchtbare
Enttäuschung, so meint Nolte, ist die unverzichtbare Voraussetzung, um den
nationalsozialistischen Terror zu verstehen. Der „Rückfall in die Barbarei“,
die man dem Nationalsozialismus vorwirft, findet bereits in dem Augenblick
statt, als die Wohltäter der Menschheit – die Marxisten als Erben des
Christentums und des Humanismus – gezwungen sind, zur Gewalt zu greifen, damit
ihre Herrschaft nicht zusammenbricht. Damit gelangt die Geschichte an einen
Wendepunkt, dem dann die Nationalsozialisten Rechnung tragen.
Nolte hat also keineswegs bestritten,
daß der Holocaust ein einzigartiges, dauerhaft wirksames Ereignis ist – nur muß
man ihn im Kontext der europäischen Geschichte sehen. Einzigartig und bleibend
ist das gesamte Ereignis, nämlich die historische Wende – eine brutale Version
von Heideggers „Kehre“ – weg vom modernen Fortschrittsmodell.
Einen nationalen Politiker interessiert
das weniger. Er muß – als nationaler Politiker – so tun, als könne die einzelne
Nation per Wahlentscheidung ihre Zukunft in sichere Bahnen lenken. Das kann sie
nicht, und das Volk scheint es instinktiv zu wissen. Es macht sich erst gar
nicht die Mühe, eine nationale Partei anzukreuzen.
Der Blinde führt die Blinden (Walter Heckmann 1991) |
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