Freitag, 8. Juni 2012

Blondi (Thomas Bernhard)


Die sogenannte Tierliebe hat schon so viel Unheil angerichtet, daß wir, wenn wir tatsächlich mit der größtmöglichen Intensität daran denken würden, augenblicklich ausgelöscht werden müßten vor Erschrecken. Es ist nicht so absurd, wie es zunächst erscheint, wenn ich sage, die Welt verdankt ihre fürchterlichsten Kriege der sogenannten Tierliebe ihrer Beherrscher. Das ist alles dokumentiert, und man sollte sich diese Tatsache einmal klarmachen. Diese Leute, Politiker, Diktatoren, sind von einem Hund beherrscht und stürzen dadurch Millionen Menschen ins Unglück und ins Verderben, sie lieben einen Hund und zetteln einen Weltkrieg an, in welchem Millionen getötet werden wegen dieses einen Hundes.“ (Thomas Bernhard, Beton, Ffm. 2006, S. 49)

Blondi, fotografiert von Walter Frentz


Und hier noch einige Informationen zu Thomas Bernhard, einem der wichtigsten deutschen Nachkriegsautoren, dem wir die obigen Einsichten zum Wesen der Tierliebe verdanken:

Der größte deutsche Haßprediger nach Hitler heißt Thomas Bernhard. Auch er stammt aus Österreich und hat einen manierierten, monotonen, schwer erträglichen Sprachstil entwickelt, der süchtig macht. Der Unterschied: Bernhard redet nicht, er schreibt. Gelernt hat er nichts, erhebt sich aber mit Leichtigkeit über alle kulturellen Gepflogenheiten. Sein Haßobjekt ist der Nationalsozialismus und alles, was damit zusammenhängt.
Alles kann bei Thomas Bernhard das Attribut „nationalsozialistisch“ erhalten, wenn es nur furchtbar genug ist: die Kirche natürlich, das Dorf, das Denken, das Gesicht eines Wirtes, das Theater, die Landschaft, das ganze Österreich. Daß dem Dichter speziell das Salzburger Land „nationalsozialistisch“ vorkommt, ist vielleicht kein Wunder, denn Adolf Hitler stammt praktisch aus der gleichen Gegend und den gleichen deprimierenden Verhältnissen. In seinem Reptilienhirn muß es ähnlich ausgesehenen haben. Der Unterschied: Bernhard hat sich weit über dieses Stadium erhoben. Er lehnt alles Heimatliche entschieden ab. – Die Frage ist dann allerdings: Warum entfernt sich der gefeierte und gut verdienende Autor nicht aus dem „nationalsozialistischen“ Österreich, um zum Beispiel in New York oder wenigstens in Paris zu leben? Nicht einmal den Versuch dazu hat er unternommen, sondern sich ausgerechnet im Salzburger Land einen Hof gekauft, um dort im Trachtenzeug umherzulaufen. Spontan fällt einem der Berghof ein. Höchstens in Wien ist Bernhardt anzutreffen, wo er in Caféhäusern sitzt, Zeitung liest und an seinen Haßtiraden feilt.
Bernhard in seinem verhaßten Wien


Wien ist Bernhard aus genau entgegengesetzten Gründen verhaßt, wie es Hitler verhaßt war. Nämlich weil es nicht großstädtisch und nicht kosmopolitisch genug ist. Immer wieder führt der Dichter die Vorteile „echter Weltstädte“ gegen der „schmutzigen“ und „durch und durch nationalsozialistischen“ Provinzialität von Wien an. Sitzt aber selbst immer nur in Wien im Caféhaus und nie zum Beispiel in Rio in einer Bar, obwohl er das könnte. Obwohl schon jeder zweite deutsche Rentner das tut.
Wer die „Romane“ gelesen hat, es sind Haßreden in einer oberflächlich literarisierten Form, der kann sich über den Grund nicht täuschen: Bernhard kann nur über seine Heimat schimpfen, weil er nur die Heimat liebt. Einzig zu ihr hat er eine Beziehung. Nur hier empfindet er überhaupt etwas. Nur hier hat er den richtigen Instinkt. Nur hier kann er schreiben. Und schreiben bedeutet für Bernhard leben, wie für Hitler leben kämpfen bedeutet hatte.
Wenn man es nicht aus Geheimnis aus seinen Texten herauslesen könnte, so gäbe es für Bernhards Heimatliebe auch einen offenkundigen Beweis: sein Frühwerk. Thomas Bernhard hat als positiver Heimatdichter angefangen, der sich gegen die Moderne wandte. Das kann er nicht leugnen, denn die Texte hat er an Verlage geschickt. Sie wurden fast alle abgelehnt. Und in Erfolglosigkeit – wie sein schriftstellernder Großvater – wollte der Jungautor auf keinen Fall enden. Er gierte nach Erfolg, was man von vielen Künstlern sagen kann. Auch vom jungen Hitler. Der Unterschied: Dieser hatte Erfolg, indem er seine innersten Obsessionen herausschrie. Sein Landsmann hatte damit keinen Erfolg. Seine Heimatliebe war nicht gefragt im Nachkriegs-Literaturbetrieb. Das Gegenteil was gefragt. Und so ist Thomas Bernhard auf sein Konzept gekommen.
Es ginge nicht, wenn das, was er sagt, glatt gelogen wäre. Er hat recht damit, daß das angeblich Echte und Alte in den meisten Fällen längst zur Ware geworden ist. Er spielt das Motiv von Adorno, daß es „nichts Wahres im Falschen“ gäbe, in allen Finessen durch. Wo nur der Anhauch einer Vermarktung zu finden ist, verwirft Bernhard mit Lust das gesamte Unternehmen. So muß die Hochkultur mit Mozart und Salzburger Festspielen zu einer abstoßenden Farce werden. Doch so leidenschaftlich könnte der Autor nicht über ein Popkonzert wüten, obwohl hier der Kommerz viel deutlicher ist. In seinem Furor kommt die Bewunderung für das zum Ausdruck, was Natur und Kultur an Spuren hinterlassen haben. Er kennt und erkennt noch das Echte und kann daher gegen das Falsche aufbegehren. Doch das „Echte“, was Bernhard zum Maßstab seines zerstörerischen Urteils macht, ist immer die Heimat.
Die innere idealisierte Heimat bildet das vernichtende Kriterium, das der Dichter an das wirkliche Wien, das wirkliche Österreich, das wirkliche Landleben anlegt. Eine Gegenwelt aber hat er nicht. Immer wieder versucht er, sich mit der Moderne zu identifizieren. Zwei Gestalten bilden dabei die tragende Rolle: der Philosoph Ludwig Wittgenstein und der Pianist Glenn Gould. Beinahe werden von Bernhard in einer beinahe sakralen Weise gewürdigt. Beide sind jüdischer Herkunft und stehen für eine unheimliche Hyperintellektualität. Bernhards Zugang zu diesen selbstgewählten Helden bleibt in skurriler Weise äußerlich. Während die Typen seiner Umgebung plastisch und eindringlich beschrieben werden, erscheinen Wittgenstein und Gould wie riesige Schatten, deren Gesichter der Dichter nie erkennt. Sie sind die „Giganten“ – doch der Inhalt von Wittgensteins Philosophie wird ebenso wenig zum Thema wie die Bach-Interpretation von Glenn Gould. Es ist klar, daß sich der Dichter hier zwei Götzen erschafft, um eine Alternative zur Heimat zu konstruieren, was aber nicht einmal im Ansatz gelingt.
„Auslöschung“ heißt der vielleicht beste Roman. Das Wort „Auslöschen“ überbietet an Radikalität noch die „Vernichtung“ und stammt zweifellos aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“. Wie überhaupt das Prinzip der „Übertreibung“, das als Hauptstilmittel Bernhard gilt, auch für das nationalsozialistische Vokabular kennzeichnend ist. Ausgelöscht werden soll aber nicht der Feind, sondern umgekehrt das Eigene – wobei es vielleicht zum letzten Mal als solches kenntlich wird. Auf Schritt und Tritt merkt man, daß Bernhard mit seinem Heimathaß einer schleichenden Heimatvernichtung nur zuvor kommt, die er sowieso nicht mehr verhindern kann: „Die Regierung betreibt eine ungeheure Vernichtungsmaschine“, schreibt er, „in welcher alles vernichtet wird, was mir lieb ist.“ Oder: „Die Auslöscher und die Umbringer bringen die Städte um und löschen sie aus und bringen die Landschaft um und löschen sie aus.“ Oder auch: „Immer und immer wieder sage ich mir, wir lieben dieses Land, aber wir hassen diesen Staat.“ Gleich darauf kommt wieder die Distanzierung von den „Blutsordenträgern, den SS-Obersturmbannführern an ihren Krücken, den nationalsozialistischen Helden“, obwohl doch diese „Helden“ ihren Haß – Bernhards Haß – auf den „Staat“, der „die Städte und die Landschaft vernichtet und auslöschet“ mit ihrer Vernichtung und Auslöschung vergolten hatten oder es zumindest versuchten. Diese Gemeinsamkeit aber kann Bernhard nicht sehen oder darf er nicht sehen, wenn er denn nach 1945 Erfolg haben will.

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