Donnerstag, 26. April 2012

Friedrichjahr 2012

Im Zeughaus-Kino lief gestern abend der „Große König“ von Veit Harlan (1943). Die Filmreihe über Friedrich II. ergänzt die Ausstellung des Deutschen Historischen Museum (DHM) im Friedrichjahr 2012. Selbstverständlich ist dafür gesorgt, daß nicht wieder eine „Glorifizierung“ daraus wird. Vor Beginn des Films findet deshalb jedesmal eine historische Einführung statt.

Bei Friedrich II. fällt wohl jedem inzwischen das Gemälde ein, das im Führerbunker hing. Man kennt es spätestens aus dem Film „Der Untergang“. Und jeder weiß auch, warum Hitler sich gegen Ende an dieses historische Vorbild klammerte: weil auch Friedrich im Siebenjährigen Krieg zeitweise Grund zum Verzweifeln hatte und gegen eine Übermacht von Feinden antrat, um schließlich doch noch zu siegen. Im Harlan-Film wirft einer der Generäle dem König vor, „die Vorsehung herausgefordert“ zu haben. Solche Befürchtungen wirken im Nachhinein sehr eindrucksvoll – nur weiß man es vorher nicht. Die Gefahr ist, daß der Film das historische Wissen vorwegnimmt, doch die Szene, in der Friedrich sich am Ende wähnt, ist sehr realistisch getroffen. Auch das Volk hatte sich nach Kunersdorf gegen ihn gewendet.
In der Ausstellung gibt es einen Hinweis, wie weit die Identifikation Hitlers mit Friedrich II. tatsächlich ging. Sie begann nicht erst mit dem Krieg. Schon 1931 gab es im Braunen Haus ein Porträt von Friedrich hinter dem Schreibtisch. Im Salon der Alten Reichskanzlei tauchte es 1934 wieder auf. Im Berghof ist es das Bild des Kronprinzen Friedrich, gemalt von Anton Pèsne, das ab 1936 über dem Kamin hängt. Das Gemälde aus der Alten Reichskanzlei wird ab 1942 bei jedem Quartierwechsel im Flugzeug mitgeführt und hängt schließlich im Bunker. Kurz vor dem Ende schenkte Hitler es dem Piloten Hans Baur, und auf der Flucht ging es verloren.  Dabei soll es sich um eine zeitgenössische Kopie des Gemäldes von Anton Graff von 1781 gehandelt haben. Das Original ist in der Stiftung Preußischer Schlösser bis heute erhalten.
Diese Geschichte ist in einer Art „Hitler-Ecke“ in der Friedrich-Ausstellung im DHM dokumentiert. Im Katalog findet sich die Bemerkung: „Vermutlich schon vor dem Ersten Weltkrieg entdeckte der Österreicher A.H. den Preußen Friedrich II. für sich als Vorbild: Staatslenker, Feldherr, Bauherr und Künstler.“
Demnach hätte Hitler schon vor dem Entschluß, Politiker zu werden, sich einen König und Feldherrn zum persönlichen Vorbild genommen. Das ist eine kühne Vermutung. Es stimmt allerdings, daß die Friedrich-Begeisterung schon viel früher beginnt als die historische Parallele zum Siebenjährigen Krieg. Es gibt nämlich noch eine andere Parallele, die in einem weniger bekannten NS-Film dargestellt wird – natürlich ohne jede Anspielung auf den Führer. „Der alte und der junge König“ von Hans Steinhoff (1935) schildert den Vater-Sohn-Konflikts Friedrichs mit dem Soldatenkönig eindrucksvoll und drastisch. Denkt man sich den Königstitel weg, so ist der Vater Friedrichs II. ein eher beschränktes Gemüt und zudem regelmäßiger Trinker. Das „Tabakskollegium“, wo er jeden freien Abend verbringt, erweist sich als Saufgelage. Sicher ist Friedrich Wilhelm I. ein tüchtiger und erfolgreicher Monarch, und entsprechend strotzt er vor Selbstbewußtsein. Wie alle Spießer ist er unfähig, irgendeine andere Existenzform neben sich anzuerkennen, und glaubt, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Diese Wahrheit besteht aber nicht zuletzt in der Schätzung des Geldes als obersten Maßstab. Seine Sparsamkeit nutzt er auch zur Drangsalierung der Familie.
Über Adolf Hitlers Vater wissen wir wenig. Nach den Hinweisen haben wir es aber mit einem „Soldatenkönig“ im Mini-Format zu tun. Selbstbewußt durch seine beruflichen Leistungen, regelmäßiger Kneipengänger, seine Familie schikanierend und allem Höheren völlig abgeneigt. Erinnerlich ist Hitlers Beurteilung Himmlers: tüchtig, aber „ein völlig amusischer Mensch“ und deshalb nicht vertrauenerweckend. Daraus spricht die Abneigung gegen den Typus des Vaters, des praktischen Tatsachenmenschen, der seinen Sohn Adolf „nicht verstand“. Mit dem Vater sah der Knabe eine Macht sich gegenüber, die ihm im Grunde ihres Wesens fremd war. In dieser Gestalt trat die grausame Wirklichkeit erstmals dem Träumer gegenüber. Und genau so war es dem Kronprinzen ergangen. Der Vater war ihm wesensfremd und hatte doch die Macht über ihn. Er herrschte unerbittlich und ließ den Jüngeren in ohnmächtiger Wut zurück.
Emil Jannings als Soldatenkönig

Und dennoch hat der Vater recht. Das hatte Friedrich nach der Hinrichtung seines Freundes Katte in der Festung Küstrin endgültig begreifen müssen und sich daraufhin in erstaunlicher Weise gewandelt. Der vorher kunstinteressierte, kultivierte und sensible Prinz beschäftigte sich plötzlich intensiv mit Wirtschaft und Politik, wurde ein vorbildlicher Soldat – und entwickelte eine Härte und Entschlossenheit, die man nie von ihm erwartet hatte. Was zeigte das? Charakterlich hatte er sehr wohl etwas von seinem Vater mitbekommen. Und der Schwärmer in ihm muß einsehen, daß ihm die hohen Ansprüche nichts nützen, wenn er nicht die Fähigkeit hat, diese Ansprüche auch durchzusetzen. Friedrich integriert quasi die beschränkte, aber starke Gestalt seines Vaters in die eigene weit gespannte Persönlichkeit und erreicht dadurch erst die spätere politische Wirksamkeit.
Nun ist Hitlers Jugendfreund August nicht hingerichtet worden, sondern Adolf hat sich selbst von ihm getrennt, um die hohen Erwartungen des Freundes nicht schmählich enttäuschen zu müssen. Das war in den ersten Jahren in Wien, als die künstlerischen Hoffnungen gescheitert waren. Nachdem also der Vater relativ früh verstarb, hatte die harte Realität selbst die Erziehung des jungen Mannes übernommen. Ähnlich wie Friedrich mußte Adolf Hitler im Laufe der Zeit einsehen, daß die Welt sich den noch so hehren Wünschen nicht fügt. Nur wer mit harten Bandagen kämpft, kann seine Ziele auch realisieren.
Diese Parallele ist es, die Hitler nach seinem Wechsel in die Politik immer stärker zum Vorbild Friedrich gezogen hat. Hier hatte er einen Menschen gefunden, der ebenfalls aus der künstlerischen Sphäre kam, „musisch“ war – und es dennoch geschafft hatte, mit eiserner Hand über Menschen zu herrschen, die ganz anders waren als er. Er war nicht nur der Realität gewachsen, sondern sogar Herr dieser Realität.
Schwärmerische Augen, entschlossenes Kinn: Friedrich II., gemalt von Graff

Es ist allerdings klar, daß Hitler – im Unterschied zu Friedrich – nur einen temporären Wandel durchmachte. Was Küstrin für Friedrich hatte für ihn der Erste Weltkrieg bedeutet: das Erwachen aus kindlichen Träumen. Und noch erstaunlicher als die rasche Entwicklung des Kronprinzen zum militärischen und ökonomischen Fachmann ist die plötzliche politische Kompetenz  eines Außenseiters, der sich bisher fast nur mit Musik und Architektur beschäftigt hat. Machtgewinn bringt zwar dem Machtmenschen steten Genuß und kann sogar süchtig machen. Doch für den Willensmenschen – und der Träumer ist immer ein Willensmensch -  bedeutet der Umgang mit Macht nur eine stete Last – schon deshalb weil sie zum Umgang mit Menschen zwingt, die überhaupt nicht auf seiner Wellenlänge liegen. Hierbei hatte Hitler in Friedrich immer einen geheimen Verbündeten, der ebenfalls diese unablässigen Händel auf sich genommen hatte, um seine Vision zu realisieren. Es gibt aber einen Punkt, den Friedrich dabei nicht überschritten hat. Er führte zwar riskante Kriege, so weit reicht die Parallele, aber er führte keinen aussichtslosen Krieg. Ob der preußische König dazu unter Umständen in der Lage gewesen wäre, läßt sich nicht sagen. Hitler jedenfalls verließ das einmal gewählte Realitätsprinzip wieder, als sich herausstellte, daß es mit seinem Inneren nicht mehr in Einklang zu bringen war, und wandte sich erneut einer rein visionären Einstellung zu. Sie ist dadurch gekennzeichnet, den eigenen Willen den herrschenden Machtverhältnissen unvermittelt gegenüberzustellen, bis es zur Katastrophe kommt – also die Haltung, die Friedrich im Konflikt mit dem Vater bis zu seiner Festnahme an den Tag gelegt hat. Auch das war „Selbstmord“, und nur die politische Rücksicht verhinderte, daß Friedrich Wilhelm I. seinen eigenen Sohn hinrichten ließ.  
Die Verbindung zu Friedrich berührt auch das Gebiet der Religion. Zu Hitlers religiöser Tarnung gehört es auch, daß er in „Mein Kampf“ nicht von dem offensiven Atheismus spricht, den sein Vater vertreten hatte. Alois Hitler war bekannt für seinen Haß auf die „Pfaffen“ und weigerte sich, eine Kirche zu betreten. Hier folgt der Sohn ihm stärker als der – im Buch angeführten – naiv frommen Mutter. Zwar ist Hitler kein Atheist, doch über seine Ablehnung gegen die Kirchen kann es keinen Zweifel geben. Auch hier trifft er sich mit Friedrich II. Im „Großen König“ spricht dieser von „eurem Gott“, der für ihn selbst, den König, keine Bedeutung habe. Es ist zur damaligen Zeit eine Ungeheuerlichkeit, daß ein Herrscher, der seinen eigenen Machtanspruch aus dem Gottesgnadentum ableitet, selber nicht an den christlichen Gott glaubt. Entsprechend entschlüpft Friedrich gegenüber unfähigen Adligen auch der Satz: „Am besten sollte man ihnen den Kopf abschlagen“. Das weist auf die Französische Revolution voraus. Friedrich folgt dem französischen Philosophen Voltaire, der Aufklärung gegen Kirche und Aberglauben betreibt. Friedrichs Vorliebe für die Franzosen bezieht sich auf deren Modernität und deren Vernunftglauben. Erst mit Immanuel Kant sind Aufklärung und Vernunft endgültig in Preußen eingezogen. Und damit hängt auch die historische Überlegenheit Preußens gegenüber dem Habsburgerstaat zusammen.
Man darf sich also im Hinblick auf Hitler fragen: Kann jemand, der sich mit dem Preußenkönig identifiziert, eine reaktionäre Weltanschauung haben? Friedrich hat mit dem mittelalterlich fundierten Weltbild bereits gebrochen, das die Habsburger bis ins 19. und 20. Jahrhundert hineingeschleppt haben. Diese christliche Tradition sollte den Vielvölkerstaat zusammenhalten. Wie aber definiert der „große Friedrich“ den Begriff Tradition? „Dünkel, Faulheit und Feigheit“ – das ist deutlich. Nur die persönliche Leistung und nur das überprüfbare Wissen sollen zählen. Das ist genau das Gegenteil reaktionärer Einstellung. Im Krieg zwischen Preußen und Österreich trafen zwar Deutsche und Deutsche aufeinander. Doch es ging um eine historische Weichenstellung. Der Sieg Preußens bedeutete letztlich den Untergang des Habsburger Staates mitsamt seiner weltanschaulichen Grundlage. Auch wenn sich dieser Untergang noch lange hinziehen sollte.
Daraus läßt sich auch entnehmen, was die Parteinahme Hitlers für das Deutsche Reich und gegen seine geografische Heimat Österreich bedeutete. Nicht nur der Vielvölkerstaat wurde abgelehnt, sondern auch dessen Voraussetzung: die universalistische, nämliche christliche Ideologie. Das Deutsche Reich wird hingegen als Erbe Preußens betrachtet und damit als Vertreter moderner Tugenden. Auch wenn Hitler sich wiederum gegen die modernen Verfallserscheinungen wendet, so bedeutet das niemals eine Rückkehr zu reaktionären, katholischen, „österreichischen“ Vorstellungen. Das würde eine Verehrung Friedrichs II. völlig ausschließen. Und an dieser Verehrung kann kein Zweifel sein.  
  


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