Max Ernst, Hausengel (1937) |
Das Kennzeichen („Logo“) dieses
Blogs ist der „Hausengel“ von Max Ernst. Liest man kunsthistorische
Erläuterungen dazu, so wird die Figur passend zum Entstehungsdatum als Symbol
des „Faschismus in Europa“ gedeutet. Die Gestalt ist häßlich und erschreckend,
doch die Farben ihres flatternden Gewandes erinnern an Renaissance-Engel. So
sagen die Kunsthistoriker.
Entscheidend für uns ist, daß der
Künstler den Nationalsozialismus in einen religiösen Zusammenhang stellt. Es
gibt noch ein zweites eindrucksvolles Gemälde mit dem Motiv Religion und
Nationalsozialismus, Gottfried Helnweins „Epiphanie 1“. Aus urheberrechtlichen
Gründen können wir das Bild hier nicht zeigen, es ist nämlich erst wenige Jahre
alt, also lange nach 1945 entstanden. Jeder kann es im Netz leicht finden. Es
zeigt eine Madonna mit dem Kind in klassischer Malweise und in Betrachtung des
Kindes einige Männer in SS- und Wehrmachtsuniformen. Alles weitere bleibt der
Interpretation überlassen.
Nicht nur Heinrich Himmler, sondern
auch Joseph Goebbels haben ausdrücklich eine religiöse Auffassung des NS
befürwortet bzw. für die Zukunft erwartet. Adolf Hitler stellte sich
bekanntlich gegen derartige Versuche und lehnte eine Rolle als Religionsstifter
oder gar Ersatz-Gott vehement ab. Wie die vielen eher lächerlichen Sekten
bezeugen, läßt sich eine Religion nicht gründen wie ein Verein oder eine politische
Partei. Schon gar nicht lassen sich Formen und Riten traditioneller Religionen
zu einer neuen Mischung verarbeiten und auf ein politisches Programm pfropfen.
So ähnlich hätte wohl eine „NS-Religion“ nach den Vorstellungen von Himmler
(eher heidnisch) oder Goebbels (eher katholisch) ausgesehen. Hitler spürte
stärker den Anachronismus (die Überlebtheit) aller traditionellen Religionen
und jeder metaphysischen (übersinnlichen) Orientierung überhaupt. Sein
(relativer) Liberalismus gegenüber den christlichen Kirchen kam aus der (inzwischen
bestätigen) Auffassung, daß „dieser Hokuspokus“ früher oder später von selbst
verschwinden würde angesichts einer mehr und mehr naturwissenschaftlich (für
Hitler: biologisch) geprägten Welt.
Trotzdem hat der NS eine Religion
hervorgebracht: die „Holocaust-Religion“. Die Holocaust-Religion unterscheidet
sich von der (von Himmler, Goebbels u.a. gewünschten) NS-Religion zunächst in
der negativen Ausrichtung. Von einer fiktiven NS-Religion her stellt die
Holocaust-Religion als eine Art „Satanismus“ dar: der Jude wird verehrt und als
Sieger gefeiert, also derjenige, der als „Teufel“ gedacht war. Auch kann man
die Holocaust-Religion als „negative Theologie“ bezeichnen, der Himmel über
Auschwitz bleibt leer.
Rein formal stellt die
Holocaust-Religion einen neuen Typus von Religion dar, den es so vorher nicht
gegeben hat. Es ist eine Religion jenseits des Atheismus, eine Religion, der
der Atheismus nichts anhaben kann und auch nicht die moderne Wissenschaftsgläubigkeit.
Wäre Hitler noch am Leben, müßte er zugeben: es ist doch möglich, eine Religion
zu etablieren, die nicht metaphysisch ist und keine traditionellen Formen benutzt
und insofern den modernen Anforderungen genügt. Und diese Religion haben
ausgerechnet die Nationalsozialisten geschaffen. Allerdings nicht
orientiert an ihren Siegen und Heldentaten, sondern umgekehrt aus dem größten
Verbrechen und der tiefsten Niederlage hat sich eine Art Kult gebildet.
Nun werden die Anhänger der traditionellen
Religionen sagen: Die Holocaust-Religion ist keine „richtige“ Religion, sondern
wird nur vergleichsweise oder gar polemisch so genannt. Sie ist höchstens eine
„Ersatz-Religion“ oder „Zivil-Religion“ wie etwa die „Menschheitsreligion“, die
auch keine „echte“ Religion sei. Doch solche Einwände gehen immer davon aus,
daß es für den Begriff „Religion“ eine bestimmte Definition gäbe. Eine solche
Definition gibt es jedoch nicht. Was Religion ist, geht immer nur aus den
einzelnen Religionen hervor. Der Allgemeinbegriff bildet sich nur durch
Überschneidungen. Damit wird die Bedeutung des Wortes Religion durch jede neue
oder neu entdeckte Religion verändert, und zwar teilweise substantiell. Vor dem
Christentum gab es keine Religion, in der Mensch und Gott eins wurden. Es gab
nur Halbgötter, die keins von beiden waren. Da aber das Christentum zweifellos
eine Religion ist, kann also der Mensch darin göttlichen Status erlangen. In
der römischen Kaiserzeit wurden sogar alle Cäsaren zu Göttern erklärt. Auch das
verstand man unter „Religion“.
Weil aber der Begriff „Religion“ so
wenig sagt, bringt auch die Frage nicht weiter, ob die Holocaust-Religion eine
„echte“ Religion ist, oder ob der NS ein religiöses Potential enthält, oder ob
die Bilder von Ernst oder Helnwein religiöse Bilder sind. Auf jeden Fall wollen
sie darauf hinweisen, daß die Ereignisse von 1933 bis 45, insbesondere die
unbegreiflichen Vorgänge in den letzten Kriegsjahren, sich auf einem Niveau
abspielen, das dem religiösen Niveau entspricht. Es geht hier nicht bloß um
Geschichtswissenschaft oder philosophische Wissenschaft, sondern um Fragen, die
jeden Menschen, egal welchen Bildungsgrades, im Innersten betreffen. Und das
sind die theologischen Fragen. Ob sie nun mit herkömmlichen theologischen
Kategorien noch zu erfassen sind oder herkömmliche theologische Vorstellungen
aufgreifen oder nicht, ist dabei zweitrangig. Sie stehen an der Stelle, wo
Theologie immer gestanden hat, nämlich an erster Stelle.
Sie haben aber auch, wie die
Künstler nahelegen, eine besondere Affinität zum Christentum. Auch im
Christentum ist es eine Katastrophe – die Kreuzigung –, die zur Erlösung führt.
In jeder Kirche hängt der blutende gequälte Körper Christi. Dazu passen
spiegelbildlich die Bilder von verhungerten und gequälten Gefangenen. Ob das
nun „Religion“ ist oder etwas anderes, die beiden Bilder müssen zusammen
gesehen und zusammen gedeutet werden. Sonst kommen wir nicht in den höchsten
Bereich.
Matthias Grünewald, Tauberbischofsheimer Kreuzigung
|
Georg Tauber, KL Dachau |
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