Samstag, 21. Januar 2012

Einleitung

Max Ernst, Der Hausengel (1937)

Der Ausdruck „Ewig-Gestrige“ ist ein wenig aus der Mode gekommen. Heute spricht man eher von „Neonazis“. Doch wo gäbe es einen „Neonazismus“, der sich vom Nazismus wirklich unterscheidet? Es gibt aber Leute, die vom Nationalsozialismus nicht wegkommen. Für die paßt der Ausdruck nach wie vor. Das betrifft nicht nur die Nostalgiker, sondern auch die Bewältiger. Es stimmt nämlich nicht, daß die Vergangenheitsbewältigung nur um materieller Vorteile willen betrieben wird, oder um von den Verbrechen der Kommunisten abzulenken, oder um Deutschland zu schaden. Manche Menschen fühlen sich von den NS-Verbrechen tatsächlich erschüttert, verwirrt, „betroffen“. Auch wenn sie gar nicht betroffen sind.
Daß man sich angesprochen fühlen kann, ohne persönlich dabei gewesen zu sein, müßten die Nostalgiker eigentlich am besten wissen. Geht es ihnen doch genauso, nur mit umgekehrten Vorzeichen. „Weil wir Deutsche sind“, lautet oft die Begründung. Das kann aber nicht stimmen. Millionen Deutsche fühlen sich weder positiv noch negativ beteiligt. Ihnen ist die Sache egal – wenn nicht gerade eine unterhaltsame Doku oder ein Spielfilm darüber läuft.
Zwar ist die Vorgeschichte des Nationalsozialismus nur in Deutschland möglich, doch die Wirkung erstreckt sich auf die ganze Welt. Das hat das Phänomen mit dem Christentum gemeinsam. Das Christentum hat eine speziell jüdische Vorgeschichte und ist doch zur Weltreligion geworden. Entsprechend gibt es seit einiger Zeit den Begriff der „Holocaust-Religion“.
Die Anfälligkeit für den Nationalsozialismus – sei es als Nostalgie oder als Schuldkult – hängt weniger von der eigenen Nationalität ab als von einer bestimmten Mentalität, die man als „Katastrophendenken“ bezeichnen könnte. In der Psychologie bedeutet das, die Dinge immer zu Ende zu denken. Im Alltag kann das ziemlich lästig sein. Bekommt der katastrophische Mensch eine Mieterhöhung, hat er gleich Angst vor der Obdachlosigkeit. „Angst“ ist ein Wort, das es angeblich nur in der deutschen Sprache gibt. Ganz stimmt es nicht. Denken wir an Kierkegaard und seine Schrift „Der Begriff Angst“ (im dänischen Original: „Begrebet Angest“).
Wichtiger noch als die Neigung zur Angst ist die Neigung zur Konsequenz, die solchen Menschen innewohnt. Das Zu-Ende-Denken hat für sie einen speziellen Reiz. Psychologisch darf man nicht übersehen, wie gern die Bewältiger das Nie-wieder-Auschwitz beschwören. Wer vom Nie-wieder spricht, der beschwört aber auch das Ereignis selbst herauf. Darin liegt – rein psychologisch – der Reiz, weil „Auschwitz“ das Zu-Ende-Denken schlechthin, die totale Katastrophe, der absolute Horror ist. Auf so eine Grenze gestoßen zu sein, verschafft eine dunkle Befriedigung.
Auch für die Nostalgiker hat der Nationalsozialismus den Reiz des Zu-Ende-Denkens. Glanzvoller, großartiger, heldenhafter geht es nicht. Auch hierfür gibt es eine psychologische Kategorie, den „Perfektionswahn“. Der Perfektionswahn und das Katastrophendenken entsprechen sich wie Sonne und Mond. Wiederum lästig, wenn es sich im banalen Alltag äußert. So einer hat es schwer. Und andere haben es mit ihm schwer. Das gilt auch von den NS-Nostalgikern, daß sie es schwer haben und andere es mit ihnen schwer haben. Weil sie Ansprüche stellen, die von der Politik gar nicht zu befriedigen sind. Sie haben ihre Maßstäbe an das gigantische Wollen, das gigantische Bauen und die gigantischen Leistungen gelegt (wo ist das Wort „gigantisch“ eigentlich vor Hitler im aktiven Sprachgebrauch überhaupt vorgekommen?). Nun sind sie durchweg enttäuscht.
Die dritte Gruppe von Leuten, wir wollen sie „die Lauen“ nennen, hält offen oder insgeheim die beiden anderen Gruppen (die Bewältiger und die Nostalgiker) für Spinner. Offen sagen sie es bei den Neonazis. Heimlich lächeln sie aber auch über diejenigen, die beim Besuch in Auschwitz zu heulen oder zu kotzen anfangen, weil auch das bedeutet, daß man „nicht in der Gegenwart angekommen ist“. Eine beliebte Formulierung. Für die Lauen spielt sich das Leben immer nur in der Gegenwart ab, also dort, wo sie selber gerade sind. „Katastrophe“ ist nur, was ihnen selber passiert, „Leistung“ nur das, was sie selber vollbringen. Das Absolute geht sie nichts an.
Unabhängig vom Urteil ist die Beobachtung richtig, daß es sich beim Nationalsozialismus um ein außergewöhnliches, vielleicht gar unvergleichbares Ereignis handelt. Nun sind manche in der Lage, solche Ereignisse zu erkennen, und manche trampeln in ihrem primitiven Eigennutz über alles Außergewöhnliche hinweg. Das sind die Lauen. Doch die Gegenwart ist nicht bestimmt von vordergründigen Berechnungen, sondern von großen historischen Entwicklungen. Deshalb bleibt auch für die Tagespolitik entscheidend die Grundfrage: Wie stellen wir uns zu dem großen Ereignis unserer Epoche?
Viele Menschen meinen, „große Ereignisse“ gibt es gar nicht, oder wir brauchen sie heute nicht. Die Fixierung auf Heldengestalten oder Feindbilder sei unreif oder gar neurotisch, weil das Leben ganz überwiegend aus Trivialitäten besteht. Diese Haltung heißt „Realismus“. Der Realismus zielt angeblich auf „die Wirklichkeit“ ab. In der Politik besteht sie aus Landtagswahlen und Verkehrsberuhigung. Doch der moderne Realismus ist nur eine ganz spezielle Auffassung von Wirklichkeit, die nicht immer gegolten hat und nicht immer gelten wird.
Es stimmt nämlich nicht, daß der Alltag das Primäre ist und die besonderen Ereignisse sekundär. Bezeichnend ist vielmehr das Spannungsverhältnis zwischen dem Gewöhnlichen und dem Außergewöhnlichen. Beides ist ständig im Bewußtsein präsent. Früher nannte man die beiden Bereiche „das Heilige“ und „das Profane“. Dabei ist „das Heilige“ ursprünglich nicht nur das Gute, sondern genauso auch das Schreckliche. Also Gefahr und Rettung in einem. In dem Wort „Ehr-Furcht“ klingt noch mit, daß man einen Gott, den man nicht fürchtet, auch nicht ehren kann. Man kann die beiden Begriffe auch übersetzen als „faszinierend“ und „schockierend“. Beide bezeichnen ein Tabu – ein Unberührbares, weil es über alle alltäglichen Belange hinausgeht. Es entzieht sich der Verfügung. Es ist „inkommensurabel“. Genau diese Attribute schreiben die Nostalgiker wie auch die Bewältiger dem Nationalsozialismus zu – nur halten die einen ausschließlich das Faszinosum, die anderen ausschließlich das „Tremendum“ fest.
Im Kino gibt es derzeit einen Film mit dem Titel „Kriegerin“. Ein grottenschlechter Film über „Neonazis“. Die Botschaft, die am Schluß des Films steht, richtet sich nicht nur gegen den Neonazismus, sondern gegen jede Form von Traum, Vision oder Glauben. Sie lautet nämlich: „Während du auf etwas wartest, was noch kommen soll, geht das Leben das dir vorbei.“ Ja, „das Leben“. In den Augen der „Realisten“ und „Hedonisten“ läuft das immer auf Geld hinaus, Geld, Job, Sex und im höchsten Fall eine Familie. Familie geht schon ein wenig über dieses Denken hinaus, denn die Kinder sollen ja weiterleben, nachdem du tot bist. Eigentlich gehen dich auch die Kinder nur partiell etwas an. Dagegen fällt in die Kategorie „reales Leben“, je älter die Leute werden, desto mehr die eigene Gesundheit, die Altersversorgung und schließlich das Sterben, das sich als ein langer (manchmal jahrzehntelanger), höchst kostspieliger und mühevoller Prozeß hinzieht, da es natürlich schwer ist, vom „realen Leben“ Abschied zu nehmen, wenn man nichts anderes kennt und gelten läßt.
Meist glauben diese Realisten, daß ihre Lebenseinstellung in Übereinstimmung zur Natur stehe. Sie nennen sie auch „Materialismus“, obwohl in Wirklichkeit nur die Zivilisation in der Lage ist, eine solche Auffassung überhaupt hervorzubringen. Es stimmt zwar: „Job“ und „Sex“ und die Sorge um das eigene Wohl sind auch jedem Tier das Wichtigste. Nur wird das Tier, genauso wie der Urmensch oder der sogenannte Wilde, allein durch seine Lebensumstände, die ganz durch die Natur bestimmt sind, immer wieder in jene besonderen Stimmungen gebracht, die der Kulturmensch gezielt aufsucht, wenn er sich mit Mythen und religiösen Inhalten beschäftigt. Es ist einerseits die Furcht, die zu einer alles verschlingenden Angst wird, andererseits eine Freude und Begeisterung. die ins Absolute zielt. Das eine geht zurück auf die Erfahrung der natürlichen Bedrohungen (das Kaninchen vor der Schlange), die konstitutiv ist für das Dasein. Auch für den Urmenschen gehört diese äußerste Bedrohung zum Alltag hinzu, sie ist ständig präsent und wird in den ersten Mythen und Göttern gespiegelt. Entsprechend ist das Wohlgefühl, das Gefühl der Sicherheit und Freiheit, nicht eine Selbstverständlichkeit wie in der Zivilisation, sondern auch die Lebensfreude hat inmitten der natürlichen Bedrohungen etwas Absolutes und Göttliches.
Solche Gefühle erleben wir in der Zivilisation auf Grund der gewohnten Absicherung und andererseits der Abstumpfung, die mit der Rundumversorgung einhergeht, kaum noch. Deshalb ist es ganz natürlich, wenn der Kulturmensch (im Unterschied zum Naturmenschen) diese Gefühle der Absolutheit ersehnt und innerhalb seiner Kultur in bestimmten Bildern und Erzählungen aufsucht, in die er sich hineinträumt, für die er schwärmt, die er anbetet und an die er „glaubt“. Da die extremen Erfahrungen  - im Negativen wie im Positiven – das Natürliche und Ursprüngliche sind, kann man davon ausgehen, daß jeder Mensch die beschriebene Sehnsucht in sich hat. Keiner ist mit dem angeblich „normalen“ (in Wirklichkeit zivilisierten) Leben zufrieden, in dem nichts „Großes“ mehr geschieht. Schaut man genauer hin, so verschafft sich fast jeder in irgendeiner Form einen Ersatz für die „Grenzerfahrungen“, die er nicht mehr hat. Allerdings sind diese Ersatzhandlungen meist individuell und nicht kollektiv angelegt. Jeder hat seine „Gottheit“, und wenn es nur der Alkohol ist. Nach außen hin schwatzt man aber von dem „realen Leben in der Gegenwart“, und daß man sich an nicht an „irgendwelche Ideologien verlieren“ solle.
Was da abfällig „Ideologie“ genannt wird, im speziellen Fall auch „Nostalgie“ oder „Schuldkult“, ist eine bestimmte Weltdeutung oder Weltanschauung. Nur die Zivilisation, die die gefährliche „Welt“ durch einen funktionierenden „Apparat“ ersetzt, macht es möglich, daß Menschen scheinbar auf solche Gesamtdeutungen verzichten. Die realistische Auffassung, daß es hinter den alltäglichen Erscheinungen keine weitere Dimension, keinen höheren Sinn, kein „Geheimnis“ mehr gibt, setzt immer die Zivilisation voraus, die uns vor allen Katastrophen schützt und von allen grundlegenden Erfahrungen abhält.
Wer den Nationalsozialismus in den Mittelpunkt seines Denkens stellt – sei es positiv oder negativ – geht davon aus, daß sich im 20. Jahrhundert eine historische Wende – eine Zeitenwende – vollzogen hat, die auch in unsere Gegenwart hineinwirkt. Die Gegenwart steht damit unter der Entscheidung, wie man sich zum Nationalsozialismus stellt. Solche „totalitären“ Vorstellungen sind ebenso wie die religiösen Vorstellungen im Liberalismus verpönt. Aber sie kehren wieder. Die Frage lautet inzwischen nicht mehr: Wollen wir überhaupt noch Religion? sondern: wollen wir zu den alten Religionen zurückkehren, wie etwa Islam oder Katholizismus, oder wollen wir an diejenige „Religion“ anknüpfen, die sich auf die Moderne selbst und ihre Bewertung bezieht?
Zur Präsidentschaftswahl in den USA äußert ein „evangelikaler“ Politiker allen Ernstes: „Unsere wirtschaftlichen Probleme resultieren daraus, daß wir nicht auf Gott hören. Deshalb ist es das Wichtigste, daß der künftige Präsident den richtigen Glauben hat.“ So weit sind wir also schon gekommen, daß solche Wortmeldungen weltweit verbreitet werden. Und das Erstaunlichste dabei ist: der Mann hat recht. Unsere wirtschaftlichen Probleme, die zur Zeit die einzigen Probleme zu sein scheinen, sind in Wirklichkeit geistige, ja religiöse Probleme. Niemals wird ein Politiker sie durch ein größeres Wirtschaftswachstum lösen oder durch mehr Sparmaßnahmen oder durch bessere Verteilung, sondern nur durch die richtige Zielsetzung. Die „Evangelikalen“ glauben nun, ähnlich wie die katholischen Traditionalisten, daß diese Zielsetzung in Jesus Christus liegt. Immerhin: diese christlichen Fundamentalisten gehören nicht zu den „Lauen“, von denen es in der Offenbarung des Johannes heißt:
Ich kenne deine Taten, daß du weder kalt noch heiß bist. Ich wünschte, du wärst kalt oder heiß. Weil du aber lau bist und weder heiß noch kalt, werde ich dich aus meinem Mund ausspeien.
Auch die radikalen Moslems sind von dem Vorwurf der Lauheit ausgenommen. Sie sehen ihr Ziel in Allah und in der Befolgung der Scharia. Für beides braucht man weder ein Wirtschaftswachstum noch Milliardenkredite. Denn die Menschen, die arm sind, erdulden ihre Armut mit Allah, und die, die verhungern, sterben nach dem Willen Allahs. Damit ist die Politik unabhängig. Solange man keine Autorität gefunden hat, die auch das Sterben von Menschen durch Hunger, durch Krieg, durch Krankheit oder durch Selbstopfer zu legitimieren fähig ist, ist kein Politiker im echten Sinne „politikfähig“. Solange es nämlich keine Autorität gibt, die über der Politik insgesamt steht, und von der sich politische Autorität herleitet, ist Politik die Sklavin irgendwelcher Forderungen, die ins Unermeßliche wachsen und an denen jede Regierung scheitern muß. Genau das hat der evangelikale US-Politiker gemeint. Die Frage ist nur, ob das Christentum (oder der Islam) diese Autorität heute bieten kann.
Die Diskussion ist nicht neu. Unter dem Begriff der „politischen Theologie“ und nicht zuletzt im Bezug auf Carl Schmitt wird sie seit einigen Jahrzehnten wieder geführt. Schmitt ist von der katholischen Tradition geprägt. Er hält aber seinen Gott nicht (mehr) für fähig, die oberste politische Autorität abzugeben. Deshalb erklärt er die politische Sphäre als unabhängig und in sich abgeschlossen. Das oberste Kriterium dieser unabhängigen politischen Sphäre ist zwangsläufig leer. Im Unterschied zu den Liberalen, die davon ausgehen, daß es über der Mehrheitsentscheidung keine Autorität mehr braucht, ist bei Schmitt die Stelle noch vorhanden, aber kann nicht mehr inhaltlich ausgefüllt werden. Diese Position ist als „Dezisionismus“ bezeichnet worden. Auf jeden Fall ist sie unbefriedigend. Deshalb braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn Schmitt genau diese Stelle im Jahr 1934 unter dem Druck der Verhältnisse mit Hitler besetzt. Und sie dann nach 1945 wieder zunehmend mit der Religion füllt.
Auch die Holocaust-Religion leitet das oberste Kriterium der Politik vom Nationalsozialismus her. Alles ist demnach gerechtfertigt, wenn es „ein neues Auschwitz“ verhindert. Das heißt: Politik muß in erster Linie Antifaschismus sein, auch wenn dabei andere Interessen verletzt werden sollten. So daarf zum Beispiel die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden, wenn es die „Neonazis“ betrifft. Wer an die Holocaust-Religion glaubt, würde aber auch noch weiter gehen. Im Notfall wäre auch eine Diktatur gerechtfertigt, wenn sie das Aufkommen der „Neofaschisten“ verhindert. Dieser Standpunkt mag in letzter Konsequenz „undemokratisch“ sein, wenigstens aber bleibt eine solche antifaschistische Politik handlungsfähig. Sie besitzt ein oberstes Kriterium, von dem sich alle Autorität ableitet. Der Liberalismus besitzt überhaupt keine echte Autorität. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn sich die „Holocaust-Religion“ als heimliche Staatsreligion eingebürgert hat.
Auch die „Neonazis“ haben wie die historischen Nazis ein oberstes Ziel, dem sie jedes Einzelinteresse unterordnen: den Kampf gegen die Juden. Nicht bloß der einzelne (womöglich unschuldige) Jude wird der Feindschaft gegenüber dem jüdischen Prinzip untergeordnet und geopfert, sondern auch die anderen Völker, selbst die Deutschen und die besten Deutschen werden geopfert für dieses Ziel. Einerseits ist das unmenschlich (und im höchsten Grade undemokratisch), auf der anderen Seite erhält damit das nationalsozialistische politische Handeln eine Legitimation, die der liberalen Politik fehlt. Der Liberalismus hat zwar keine Menschen gemordet und hat sogar die Todesstrafe abgeschafft, aber dafür bleibt jeder Eingriff in das individuelle Dasein im Liberalismus ohne echte Legitimation. Die Rechtfertigung beruht nicht auf einem absoluten Wert oder Ziel, sondern einzig auf der Annahme, daß die Regierung wiedergewählt werden und daher sich möglichst beliebt machen will. Zumindest in Krisensituationen reicht diese Legitimation nicht aus. Und auf der Suche nach einer „echten“ Legitimation verfällt der liberale Staat ausgerechnet auf den Nationalsozialismus als negativen Bezugspunkt. Die Wiederkehr des Nationalsozialismus zu verhindern, ist die eigentliche Begründung unseres Staates. Und zwar nicht bloß aus einer Bewältigungshysterie heraus oder unter dem Einfluß der 68er, sondern aus entscheidenden philosophisch-theologischen Gründen. Es muß so sein, daß der post-nationalsozialistische Staat sich existentiell auf den Nationalsozialismus bezieht. Weil es im NS unter der Metapher der „jüdischen Weltherrschaft“ um die Beurteilung der Moderne und des Liberalismus selber geht. Der „Schatten Hitlers“ ist nicht etwas, aus dem man einfach „heraustreten“ kann, wie man aus dem Schatten eines Baumes tritt.

Baumschatten ordnen sich zu Schienensträngen. Günther Grass (Nobelpreisträger): „Deutschland denken heißt Auschwitz denken.“ Rudolf Heß (Stellvertreter): „Hitler ist Deutschland.“

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