Bei Friedrich II. fällt wohl jedem
inzwischen das Gemälde ein, das im Führerbunker hing. Man kennt es spätestens
aus dem Film „Der Untergang“. Und jeder weiß auch, warum Hitler sich gegen Ende
an dieses historische Vorbild klammerte: weil auch Friedrich im Siebenjährigen
Krieg zeitweise Grund zum Verzweifeln hatte und gegen eine Übermacht von
Feinden antrat, um schließlich doch noch zu siegen. Im Harlan-Film wirft einer
der Generäle dem König vor, „die Vorsehung herausgefordert“ zu haben. Solche
Befürchtungen wirken im Nachhinein sehr eindrucksvoll – nur weiß man es vorher
nicht. Die Gefahr ist, daß der Film das historische Wissen vorwegnimmt, doch
die Szene, in der Friedrich sich am Ende wähnt, ist sehr realistisch getroffen.
Auch das Volk hatte sich nach Kunersdorf gegen ihn gewendet.
In der Ausstellung gibt es einen
Hinweis, wie weit die Identifikation Hitlers mit Friedrich II. tatsächlich ging.
Sie begann nicht erst mit dem Krieg. Schon 1931 gab es im Braunen Haus ein
Porträt von Friedrich hinter dem Schreibtisch. Im Salon der Alten Reichskanzlei
tauchte es 1934 wieder auf. Im Berghof ist es das Bild des Kronprinzen
Friedrich, gemalt von Anton Pèsne, das ab 1936 über dem Kamin hängt. Das
Gemälde aus der Alten Reichskanzlei wird ab 1942 bei jedem Quartierwechsel im
Flugzeug mitgeführt und hängt schließlich im Bunker. Kurz vor dem Ende schenkte
Hitler es dem Piloten Hans Baur, und auf der Flucht ging es verloren. Dabei soll es sich um eine zeitgenössische
Kopie des Gemäldes von Anton Graff von 1781 gehandelt haben. Das Original ist
in der Stiftung Preußischer Schlösser bis heute erhalten.
Diese Geschichte ist in einer Art
„Hitler-Ecke“ in der Friedrich-Ausstellung im DHM dokumentiert. Im Katalog
findet sich die Bemerkung: „Vermutlich schon vor dem Ersten Weltkrieg entdeckte
der Österreicher A.H. den Preußen Friedrich II. für sich als Vorbild:
Staatslenker, Feldherr, Bauherr und Künstler.“
Demnach hätte Hitler schon vor dem
Entschluß, Politiker zu werden, sich einen König und Feldherrn zum persönlichen
Vorbild genommen. Das ist eine kühne Vermutung. Es stimmt allerdings, daß die
Friedrich-Begeisterung schon viel früher beginnt als die historische Parallele
zum Siebenjährigen Krieg. Es gibt nämlich noch eine andere Parallele, die in
einem weniger bekannten NS-Film dargestellt wird – natürlich ohne jede
Anspielung auf den Führer. „Der alte und der junge König“ von Hans Steinhoff
(1935) schildert den Vater-Sohn-Konflikts Friedrichs mit dem Soldatenkönig
eindrucksvoll und drastisch. Denkt man sich den Königstitel weg, so ist der
Vater Friedrichs II. ein eher beschränktes Gemüt und zudem regelmäßiger
Trinker. Das „Tabakskollegium“, wo er jeden freien Abend verbringt, erweist
sich als Saufgelage. Sicher ist Friedrich Wilhelm I. ein tüchtiger und
erfolgreicher Monarch, und entsprechend strotzt er vor Selbstbewußtsein. Wie
alle Spießer ist er unfähig, irgendeine andere Existenzform neben sich
anzuerkennen, und glaubt, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Diese
Wahrheit besteht aber nicht zuletzt in der Schätzung des Geldes als obersten
Maßstab. Seine Sparsamkeit nutzt er auch zur Drangsalierung der Familie.
Über Adolf Hitlers Vater wissen wir
wenig. Nach den Hinweisen haben wir es aber mit einem „Soldatenkönig“ im
Mini-Format zu tun. Selbstbewußt durch seine beruflichen Leistungen,
regelmäßiger Kneipengänger, seine Familie schikanierend und allem Höheren
völlig abgeneigt. Erinnerlich ist Hitlers Beurteilung Himmlers: tüchtig, aber
„ein völlig amusischer Mensch“ und deshalb nicht vertrauenerweckend. Daraus
spricht die Abneigung gegen den Typus des Vaters, des praktischen
Tatsachenmenschen, der seinen Sohn Adolf „nicht verstand“. Mit dem Vater sah
der Knabe eine Macht sich gegenüber, die ihm im Grunde ihres Wesens fremd war. In
dieser Gestalt trat die grausame Wirklichkeit erstmals dem Träumer gegenüber.
Und genau so war es dem Kronprinzen ergangen. Der Vater war ihm wesensfremd und
hatte doch die Macht über ihn. Er herrschte unerbittlich und ließ den Jüngeren
in ohnmächtiger Wut zurück.
Emil Jannings als Soldatenkönig |
Und dennoch hat der Vater recht.
Das hatte Friedrich nach der Hinrichtung seines Freundes Katte in der Festung
Küstrin endgültig begreifen müssen und sich daraufhin in erstaunlicher Weise
gewandelt. Der vorher kunstinteressierte, kultivierte und sensible Prinz
beschäftigte sich plötzlich intensiv mit Wirtschaft und Politik, wurde ein
vorbildlicher Soldat – und entwickelte eine Härte und Entschlossenheit, die man
nie von ihm erwartet hatte. Was zeigte das? Charakterlich hatte er sehr wohl
etwas von seinem Vater mitbekommen. Und der Schwärmer in ihm muß einsehen, daß
ihm die hohen Ansprüche nichts nützen, wenn er nicht die Fähigkeit hat, diese
Ansprüche auch durchzusetzen. Friedrich integriert quasi die beschränkte, aber
starke Gestalt seines Vaters in die eigene weit gespannte Persönlichkeit und
erreicht dadurch erst die spätere politische Wirksamkeit.
Nun ist Hitlers Jugendfreund August
nicht hingerichtet worden, sondern Adolf hat sich selbst von ihm getrennt, um die
hohen Erwartungen des Freundes nicht schmählich enttäuschen zu müssen. Das war
in den ersten Jahren in Wien, als die künstlerischen Hoffnungen gescheitert
waren. Nachdem also der Vater relativ früh verstarb, hatte die harte Realität
selbst die Erziehung des jungen Mannes übernommen. Ähnlich wie Friedrich mußte
Adolf Hitler im Laufe der Zeit einsehen, daß die Welt sich den noch so hehren
Wünschen nicht fügt. Nur wer mit harten Bandagen kämpft, kann seine Ziele auch
realisieren.
Diese Parallele ist es, die Hitler
nach seinem Wechsel in die Politik immer stärker zum Vorbild Friedrich gezogen
hat. Hier hatte er einen Menschen gefunden, der ebenfalls aus der künstlerischen
Sphäre kam, „musisch“ war – und es dennoch geschafft hatte, mit eiserner Hand
über Menschen zu herrschen, die ganz anders waren als er. Er war nicht nur der
Realität gewachsen, sondern sogar Herr dieser Realität.
Schwärmerische Augen, entschlossenes Kinn: Friedrich II., gemalt von Graff |
Es ist allerdings klar, daß Hitler
– im Unterschied zu Friedrich – nur einen temporären Wandel durchmachte. Was
Küstrin für Friedrich hatte für ihn der Erste Weltkrieg bedeutet: das Erwachen
aus kindlichen Träumen. Und noch erstaunlicher als die rasche Entwicklung des
Kronprinzen zum militärischen und ökonomischen Fachmann ist die plötzliche
politische Kompetenz eines Außenseiters,
der sich bisher fast nur mit Musik und Architektur beschäftigt hat. Machtgewinn
bringt zwar dem Machtmenschen steten Genuß und kann sogar süchtig machen. Doch für
den Willensmenschen – und der Träumer ist immer ein Willensmensch - bedeutet der Umgang mit Macht nur eine stete
Last – schon deshalb weil sie zum Umgang mit Menschen zwingt, die überhaupt
nicht auf seiner Wellenlänge liegen. Hierbei hatte Hitler in Friedrich immer
einen geheimen Verbündeten, der ebenfalls diese unablässigen Händel auf sich
genommen hatte, um seine Vision zu realisieren. Es gibt aber einen Punkt, den
Friedrich dabei nicht überschritten hat. Er führte zwar riskante Kriege, so
weit reicht die Parallele, aber er führte keinen aussichtslosen Krieg. Ob der
preußische König dazu unter Umständen in der Lage gewesen wäre, läßt sich nicht
sagen. Hitler jedenfalls verließ das einmal gewählte Realitätsprinzip wieder,
als sich herausstellte, daß es mit seinem Inneren nicht mehr in Einklang zu
bringen war, und wandte sich erneut einer rein visionären Einstellung zu. Sie
ist dadurch gekennzeichnet, den eigenen Willen den herrschenden
Machtverhältnissen unvermittelt gegenüberzustellen, bis es zur Katastrophe
kommt – also die Haltung, die Friedrich im Konflikt mit dem Vater bis zu seiner
Festnahme an den Tag gelegt hat. Auch das war „Selbstmord“, und nur die
politische Rücksicht verhinderte, daß Friedrich Wilhelm I. seinen eigenen Sohn
hinrichten ließ.
Die Verbindung zu Friedrich berührt
auch das Gebiet der Religion. Zu Hitlers religiöser Tarnung gehört es auch, daß
er in „Mein Kampf“ nicht von dem offensiven Atheismus spricht, den sein Vater
vertreten hatte. Alois Hitler war bekannt für seinen Haß auf die „Pfaffen“ und
weigerte sich, eine Kirche zu betreten. Hier folgt der Sohn ihm stärker als der
– im Buch angeführten – naiv frommen Mutter. Zwar ist Hitler kein Atheist, doch
über seine Ablehnung gegen die Kirchen kann es keinen Zweifel geben. Auch hier
trifft er sich mit Friedrich II. Im „Großen König“ spricht dieser von „eurem
Gott“, der für ihn selbst, den König, keine Bedeutung habe. Es ist zur
damaligen Zeit eine Ungeheuerlichkeit, daß ein Herrscher, der seinen eigenen
Machtanspruch aus dem Gottesgnadentum ableitet, selber nicht an den christlichen
Gott glaubt. Entsprechend entschlüpft Friedrich gegenüber unfähigen Adligen auch
der Satz: „Am besten sollte man ihnen den Kopf abschlagen“. Das weist auf die
Französische Revolution voraus. Friedrich folgt dem französischen Philosophen
Voltaire, der Aufklärung gegen Kirche und Aberglauben betreibt. Friedrichs
Vorliebe für die Franzosen bezieht sich auf deren Modernität und deren
Vernunftglauben. Erst mit Immanuel Kant sind Aufklärung und Vernunft endgültig
in Preußen eingezogen. Und damit hängt auch die historische Überlegenheit
Preußens gegenüber dem Habsburgerstaat zusammen.
Man darf sich also im Hinblick auf
Hitler fragen: Kann jemand, der sich mit dem Preußenkönig identifiziert, eine
reaktionäre Weltanschauung haben? Friedrich hat mit dem mittelalterlich
fundierten Weltbild bereits gebrochen, das die Habsburger bis ins 19. und 20.
Jahrhundert hineingeschleppt haben. Diese christliche Tradition sollte den Vielvölkerstaat
zusammenhalten. Wie aber definiert der „große Friedrich“ den Begriff Tradition?
„Dünkel, Faulheit und Feigheit“ – das ist deutlich. Nur die persönliche
Leistung und nur das überprüfbare Wissen sollen zählen. Das ist genau das
Gegenteil reaktionärer Einstellung. Im Krieg zwischen Preußen und Österreich
trafen zwar Deutsche und Deutsche aufeinander. Doch es ging um eine historische
Weichenstellung. Der Sieg Preußens bedeutete letztlich den Untergang des
Habsburger Staates mitsamt seiner weltanschaulichen Grundlage. Auch wenn sich
dieser Untergang noch lange hinziehen sollte.
Daraus läßt sich auch entnehmen,
was die Parteinahme Hitlers für das Deutsche Reich und gegen seine geografische
Heimat Österreich bedeutete. Nicht nur der Vielvölkerstaat wurde abgelehnt,
sondern auch dessen Voraussetzung: die universalistische, nämliche christliche
Ideologie. Das Deutsche Reich wird hingegen als Erbe Preußens betrachtet und
damit als Vertreter moderner Tugenden. Auch wenn Hitler sich wiederum gegen die
modernen Verfallserscheinungen wendet, so bedeutet das niemals eine Rückkehr zu
reaktionären, katholischen, „österreichischen“ Vorstellungen. Das würde eine
Verehrung Friedrichs II. völlig ausschließen. Und an dieser Verehrung kann kein
Zweifel sein.